Aufbruch zu einer Reise Zeitgenössischer Scherenschnitt
Wie reiste man im 18. Jahrhundert?
Im achtzehnten Jahrhundert
existierte noch kein "Tourismus" im heutigen
Sinne. Reisen war gefährlich, jederzeit musste man mit
Straßenräubern rechnen. Die Straßen waren oft in einem
miserablen Zustand, besonders bei Regen, und verursachten bei den Kutschen
immer wieder Achsbrüche und andere Unfälle. Ins Ausland
zu fahren war besonders schwierig, denn sehr wenige
beherrschten eine Fremdsprache. Die Reisen dauerten sehr
lang, in einer Woche schaffte man vielleicht 400-500 km
und nur die Reichen konnten sich einen derartigen Luxus
erlauben.
Im Mittelalter waren es zuerst die Händler, die weite Reisen unternahmen; sie
mussten es tun, um zu kaufen und zu verkaufen. Dann kamen
die Pilger hinzu, die nach Rom wanderten - oft zu Fuß -
um einen Sündenablass zu erreichen. Und schließlich die
Schriftsteller, Maler und Architekten die bei
ausländischen Meistern lernen wollten oder im Ausland
künstlerische Inspiration suchten. Dürer zum Beispiel
ging nach Holland und nach Italien, um dort zu lernen. Der
reiche Bankier Fugger schickte seinen Sohn nach Venedig,
damit er das italienische Bankensystem kennen lernen
konnte. Italienische Maler und Architekten kamen nach
Deutschland, um für deutsche Fürsten und Kaiser
Aufträge auszuführen. Der kleine Mozart fuhr mit seinem
Vater durch Europa, unter anderem auch durch Italien, um bekannt zu werden. Man reiste also
aus Gründen der Arbeit und des Studiums.
Im 18. und 19.
Jahrhundert wurde es in vielen reichen Familien
Deutschlands, Englands und Frankreichs eine Gewohnheit,
die heranwachsenden Söhne auf eine Art Bildungsreise
nach Italien zu schicken, um die traditionelle Erziehung
durch Privatlehrer zu Hause zu ergänzen. Obwohl in jener
Zeit auch die ersten Urlaubsorte entstanden (meist
Kurorte) wo sich die Reichen zur Erholung trafen, blieb
eine Reise immer eine sehr kostspielige, langwierige und
nicht ungefährliche Angelegenheit. 95% der einfachen
Leute verließen praktisch nie den Ort, wo sie geboren waren und wo sie lebten und
arbeiteten.
"Goethe in der Campagna" Gemälde des Goethe-Freundes
Johann Heinrich Wilhelm Tischbein, 1786
Warum ging Goethe nach Italien?
Die Reise Goethes war eine
Art Flucht. Die Arbeit als Minister in Weimar hatte seine
literarische Kreativität blockiert. Er fühlte die
Notwendigkeit eines radikalen Tapetenwechsels. Italien,
genauer gesagt das
klassische Italien der griechisch-römischen Kultur, war schon seit der Kindheit sein Traum gewesen, und er hoffte, dass eine solche Umgebung zu seiner
künstlerischen Wiedergeburt führen würde.
Er bereite
diese Flucht im Geheimen vor, niemand sollte wissen, wann
und wohin er abreisen würde. Am 3. September 1786, um 3
Uhr in der Nacht, fuhr er mit der Postkutsche ab, ohne
sich von irgendjemandem verabschiedet zu haben. Anfangs
reiste Goethe unter falschem Namen, er wollte nicht
erkannt werden. Er wollte Italien genießen, ohne
jemandem darüber Rechenschaft ablegen zu müssen. Für
lange Zeit wusste niemand, wo er war, weder seine
Mutter noch seine engsten Freunde hatten Nachrichten von
ihm.
"Goethe, aus einem Fenster seiner römischen Wohnung
auf den zwei Stock unter ihm liegenden Corso blickend."
Zeichnung von Tischbein
Was suchte Goethe in Italien, was fand er dort?
Was Goethe in Italien suchte, war nicht so sehr das Italien von Michelangelo
und Leonardo, der Malerei und der Architektur der Renaissance und des Barock. In Florenz hält er
sich beim ersten Besuch gerade mal 3 Stunden auf und in Rom schläft er beim
Besuch der Sixtinischen Kapelle ein. Die politische Situation Italiens war
ihm völlig gleichgültig. Giotto hat er nie gesehen, Bernini wird in seinem
Italienbuch nie erwähnt. Goethe suchte das Altertum, und als er in Verona zum
ersten Mal ein Monument des römischen Altertums sah, die
Arena, war er glücklich. In Rom fühlte er sich sofort wie zu Hause, als ob
er nie woanders gelebt hätte.
Ursprünglich sollte die Reise
einige Monate dauern, am Ende waren es fast zwei Jahre.
Es war weniger eine Reise, es war ein Leben in Italien, und
je länger er dort blieb, desto mehr entspannte er sich,
desto mehr begann er sich auch für das Alltagsleben in
Italien zu interessieren. Goethe veränderte sich, und
man kann eine bemerkenswerte Tatsache beobachten: er, der
in der Vergangenheit unzählige Liebesgedichte und
Erzählungen voll von Liebesleidenschaft geschrieben hat,
erst hier in Italien, im Alter von 37 Jahren, entdeckt er wirklich die Liebe, die
sinnliche, körperliche.
Er malte und zeichnete unaufhörlich (er
brachte ungefähr tausend Zeichnungen und Aquarelle
zurück nach Weimar), er begann wieder zu schreiben und
kreativ zu werden. Das Tagebuch dieser Reise, das er erst
1829 veröffentlichte, ist ein schönes, aber
ungewöhnliches Buch. Es ist weniger eine Beschreibung
des Landes, es ist vielmehr eine Beschreibung der
Eindrücke, die es ihm vermittelt, Eindrücke von den
Menschen und von der Kultur. Wenn man dieses Buch liest,
versteht man mehr über Goethe als über Italien. Aber
dennoch ist es auch ein Buch über Italien, aber über
ein Goethesches Italien, über sein idealisiertes Italien, das nur er so
erleben und beschreiben konnte.
Goethe während seines Romaufenthalts 1778,
gemalt von Angelika Kauffmann
Der klassische Ausdruck der deutschen Italien-Sehnsucht:
Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn,
Im dunklen Laub die Goldorangen glühn,
Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht,
Die Myrte still und hoch der Lorbeer steht,
Kennst du es wohl?
Dahin! Dahin
Möcht ich mit dir, o mein Geliebter, ziehn!
Die zweite Reise nach Italien:
Alle späteren Versuche Goethes, die einzigartige und stimulierende
Erfahrung der ersten Reise zu wiederholen, sind
gescheitert. Auf der zweiten Reise kam er nur bis
Venedig, aber dieses Mal sah er nicht mehr die
klassischen Ideale, sondern nur noch den Schmutz und die
Unordnung des öffentlichen Lebens. Sein
Bedürfnis nach Ausbruch aus dem Alltagsleben war nicht
mehr stark genug.
Goethe während seines zweiten Italien-Aufenthalts:
Noch ist Italien, wie ich's verließ, noch stäuben die Wege,
Noch ist der Fremde geprellt, stell er sich, wie er auch will.
Deutsche Rechtlichkeit suchst du in allen Winkeln vergebens,
Leben und Weben ist hier, aber nicht Ordnung und Zucht;
Jeder sorgt nur für sich, ist eitel, misstrauet dem andern,
Und die Meister des Staats sorgen nur wieder für sich.
Schön ist das Land! doch ach! Faustinen find ich nicht wieder.
Das ist Italien nicht mehr, das ich mit Schmerzen verließ.
Goethes Reise nach Italien - Etappe für Etappe:
Goethes Reise nach Italien dauerte fast zwei Jahre, vom 3. September 1786
bis zum 18. Juni 1788, genauer gesagt ein Jahr, neun Monate und fünfzehn
Tage. Die meiste Zeit verbracht er in Rom, der erste Romaufenthalt dauerte
vier Monate, der zweite fast zehn Monate.
1 Karlsbad 2 München 3 Brenner
3. September 1786
6. - 7. September
8. September
4 Trient 5 Verona 6 Vicenza 7 Padua 8 Venedig
10. - 11. September
14. - 18. September
19. - 25. September
26. - 27. September
28. September - 14. Oktober
9 Bologna 10 Florenz 11 Rom
18. - 20. Oktober
23. Oktober
29. Oktober 1786 - 22. Februar 1787
12 Neapel 13 Palermo 14 Agrigent 15 Catania
25. Februar - 29. März
2. - 18. April
23. - 27. April
1. - 5. Mai
16 Neapel 17 Rom
14. Mai - 3. Juni
6. Juni 1787 -
24. April 1788
18 Siena 19 Florenz 20 Bologna 21 Mailand 22 Como
27. April
29. April - 11. Mai
12. Mai - 21. Mai
22. Mai - 27. Mai
28. Mai
23 Konstanz 24 Nürnberg 25 Weimar
3.- 10. Juni
13. - 16. Juni
18. Juni 1788
1 Karlsbad 2 München 3 Brenner
3. Sep. 1786
6. - 7. Sep.
8. Sep.
4 Trient 5 Verona 6 Vicenza
10. - 11. Sep.
14. - 18. Sep.
19. - 25. Sep.
7 Padua
8 Venedig 9 Bologna
26. - 27. Sep.
28. Sep. - 14. Okt. 18. - 20. Okt.
10 Florenz
11 Rom
23. Okt.
29. Okt. 1786 - 22. Feb. 1787
12 Neapel
25. Feb. - 29. März
13 Palermo 14 Agrigent 15 Catania
2. - 18. Apr.
23. - 27. Apr.
1. - 5. Mai
16 Neapel 17 Rom
14. Mai - 3. Juni
6. Juni 1787 - 24. Apr. 1788
18 Siena 19 Florenz 20 Bologna 21 Mailand
27. Apr. 29. Apr. - 11. Mai
12. Mai - 21. Mai
22. Mai - 27. Mai
Ihr Kommentar zu dieser SeiteTanja Schröter:
Besonders die Etappen auf der Karte nachvollziehen zu können hat mir sehr
gefallen :-) Vielen Dank für den informativen Überblick!
(26.02.2021)
Gabriella Montali: Die Seite über Goethes Erfahrungen in Italien habe ich sehr interessant gefunden.
Gratuliere!
(07.08.2019)