Karikatur über die italienische Neutralität im Jahr 1914: Der
italienische König Viktor Emanuel III. schaut dem Tauziehen zwischen den
Mittelmächten Deutschland und Österreich (rechts) und en Staaten der Entente
(links) zu. Autor unbekannt
Italien vor dem ersten Weltkrieg:
Italien war, ähnlich wie Deutschland, im Vergleich zu den anderen
europäischen Staaten erst sehr spät zu einer politischen Einheit gelangt:
Italien im Jahr 1861 (siehe dazu den Artikel über dieitalienische
Einigung), Deutschland im Jahr 1871. Im Gegensatz zu Deutschland,
das in der Zeit von der Einigung bis zum 1. Weltkrieg einen
Wirtschaftsboom
ohnegleichen erlebte, hatte Italien mit großen wirtschaftlichen und sozialen
Schwierigkeiten zu kämpfen. Die Industrialisierung kam nur schleppend voran
und die Armut eines großen Teils der Bevölkerung, von der 1861über 75 %
Analphabeten waren, führte zu einer Massenauswanderung, vor allem in die
USA.
Außenpolitisch versuchten die italienischen Regierungen jener Zeit - mit
mäßigem Erfolg - an der kolonialen Aufteilung Afrikas teilzunehmen. In den
blutigen Kolonialkriegen in Eritrea, Somalien und in
Libyen (1880-1912)
konnte Italien zwar eigene Kolonien gründen, musste das aber, wegen der
hohen Kosten und den damit verbundenen Sparmaßnahmen, mit starken sozialen Unruhen
und finanziellen und politischen Krisen im Inland bezahlen.
Die Schlacht von Adua (Äthiopien 1896), bei der die äthiopische Armee den italienischen Invasionstruppen
eine empfindliche Niederlage bereitete.
Englische Gravur, Autor unbekannt
Die imperialistischen Bestrebungen führten vor allem zwischen
England,
Frankreich und Deutschland zu immer stärkeren Spannungen und zu einem nie
dagewesenen Wettrüsten, vor allem im
Flottenbau. Dazu kamen nationalistische
Spannungen, vor allem auf der Balkanhalbinsel, die sich mehr als einmal in
kleinen kriegerischen Auseinandersetzungen entluden. In den letzten Jahren vor 1914 wurde schließlich
der "große" Krieg immer wahrscheinlicher, auch weil die öffentliche Meinung
auf allen Seiten immer stärker durch nationalistische Hetze vergiftet wurde.
Überall glaubte man Rechnungen mit den Nachbarländern offen zu haben, die
nur mit Blut und Eisen zu begleichen wären. Das Attentat von Sarajevo, bei
dem der österreichische Erzherzog Franz Ferdinand und seine Frau
Sophie von
einem serbischen Attentäter erschossen wurden, bildete schließlich den
willkommenen Anlass für diejenigen, die nur darauf warten, den Krieg vom
Zaun zu brechen.
Sarajevo, 8. Juni 1914: der Erzherzog Francesco
Ferdinando und seine Frau Sofia
wurden von einem serbischen Attentäter erschossen. Ein willkommener Anlass
für diejenigen,
die nur darauf warteten, den Krieg vom Zaun zu brechen.
Zeichnung (1914) in einer österreichischen Zeitung,
Autor unbekannt
1914 - der erste Weltkrieg bricht aus, aber Italien bleibt neutral:
Im Jahr 1914, zu Beginn des Krieges, war Italien in ein Militärbündnis (dem
1882 abgeschlossenen "Dreibund") mit
Deutschland und
Österreich eingebunden und man erwartete
deshalb, dass sich Italien dem Krieg auf der Seite dieser Bündnispartner
(den "Mittelmächten") anschließen würde. Aber die italienische Regierung
zögerte und formal gesehen war Italien auch nicht gezwungen einzugreifen:
der Vertrag sah nämlich vor, dass Italien Österreich militärisch zu Hilfe kommen
sollte, wenn dieses von außen angegriffen würde. Aber das war 1914 nicht der
Fall, es war Österreich gewesen, das Serbien angegriffen hatte. Außerdem war
Italien militärisch absolut unvorbereitet und die öffentliche Meinung
Italiens war, im Gegensatz zu der der anderen kriegführenden Staaten, nicht
sehr kriegsbegeistert.
Der eigentliche Grund für die abwartende Haltung Italiens war jedoch ein
anderer: Italien erwartete sich von einer Kriegsteilnahme eine
angemessene
Belohnung. Nach einem siegreichen Ende des Krieges wollte Italien
konkrete
Gebietserweiterungen zugesprochen bekommen: das
Trentino im Norden und die
StadtTriest im Nordosten. Beide Regionen waren damals noch ein Teil des
Habsburgerreichs, in Triest gab es zwar eine italienische Bevölkerungsmehrheit
und eine schon seit Jahren sehr aktive und starke Bewegung pro-Italien, im
Trentino dagegen war die große Mehrheit der Bevölkerung gegen einen
Anschluss
an Italien, obwohl auch hier viele Italiener lebten. Beide Regionen wurden
jedenfalls von den italienischen Nationalisten als noch "unerlöste" Teile
des italienischen Einigungsprozesses betrachtet und als Kriegsbeute
reklamiert.
Österreich weigerte sich allerdings, diese Bedingung zu akzeptieren und so
trat ein Teil der italienischen Regierung in Geheimverhandlungen mit England
und Frankreich (der "Entente"), um vielleicht an deren Seite zu den
erhofften Gebietserweiterungen zu kommen. In der Zeit von 1914 bis 1915
wurde die Propaganda der "Interventisten", die auf einen Kriegseintritt auf
Seiten der Entente drängten, immer stärker und aggressiver. Besonders hervor
taten sich dabei der Dichter (und Österreich-Hasser) Gabriele D'Annunzio und
der damals noch junge Benito Mussolini, der gerade in jenem Jahr vom
internationalistisch gesinnten Sozialisten zum fanatisch-nationalistischen
Faschisten mutierte.
Die Mächte der Entente waren natürlich den territorialen Expansionswünschen
Italiens von Anfang an weitaus aufgeschlossener als Österreich und so trat
Italien am 23. Mai 1915 an ihrer Seite in den Krieg ein.
Der Alpenkrieg zwischen Österreich und Italien links: italienische Soldaten beim Aufstieg auf einen Berg rechts: österreichische Infanteristen an der Tiroler Front
Fotos:
Bibliothèque
nationale de France / Kriegsarchiv Wien
Der Alpenkrieg zwischen Österreich und Italien oben: italienische Soldaten beim Aufstieg auf einen Berg / unten: österreichische Infanteristen an der Tiroler Front
Fotos:
Bibliothèque
nationale de France / Kriegsarchiv Wien
1915 bis 1918 - der zermürbende Stellungskrieg gegen Österreich:
Obwohl Italien in den ersten Monaten nach dem Kriegseintritt fieberhaft
aufrüstete und die anti-österreichische Propaganda immer heftiger und
lautstarker wurde,
war die militärische und psychologische Vorbereitung auf den Krieg in
keiner Weise ausreichend. Die Illusion eines schnell zu gewinnenden Krieges führte auch zu
völlig unsinnigen militärischen Planungen: so glaubte man anfangs
tatsächlich, in wenigen Wochen bis nach Wien vorstoßen zu können.
Aber die glorreichen Phantasien eines siegreichen Angriffskrieges
blieben schon nach wenigen Wochen im schmutzigen Alltag der Schützengräben
stecken. Insgesamt war die Frontlinie zwischen Italien und Österreich, die
zwischen der Schweiz und der Adria verlief und sich im Wesentlichen mit der
gemeinsamen Grenze deckte, in der Luftlinie ca. 600 km lang. Ein Großteil
der Front lag allerdings im Hochgebirge, deshalb müssen in Wirklichkeit noch
mehrere hundert Kilometer dazugerechnet werden. Der zermürbende
Alpenkrieg zwischen Italien und Österreich
zog sich über drei lange Jahre hin, ohne dass eine der
beiden Seiten irgendeinen wesentlichen Vorteil erzielen konnte. Im
Unterschied zur West- und Ostfront des ersten Weltkrieges verliefen die
Frontlinien zwischen Österreich und Italien überwiegend im Gebirge, oft in
Schnee und Eis in mehreren tausend Metern Höhe. In 15 blutigen Schlachten (12 in der Nähe des
Isonzo-Flusses und 3 am Piave-Fluss) starben auf beiden Seiten
zusammengenommen fast 1 Million Soldaten. Wenn eine Seite in einer zwei bis
drei Wochen dauernden Schlacht dem Feind einige Kilometer entreißen konnte,
war es so gut wie sicher, dass dieser kleine Erfolg, der in der Regel
zwischen 50.000 und 100.000 Tote kostete, bei der nächsten Schlacht zu einem
ähnlichen Blutpreis wieder verloren ging.
Im Oktober 1917 waren beide
kriegführenden Parteien dem Sieg genauso weit
entfernt wie im Mai 1915, zu Beginn der
Kampfhandlungen.
Erst ein gut vorbereiteteter, massiver Überraschungsangriff deutsch-österreichischer Truppen
bei Caporetto im Oktober 1917 ließ die italienische Front zum ersten Mal
zusammenbrechen, die gesamte Region Friuli musste aufgegeben werden und die
Italiener zogen sich bis an den Fluss Piave zurück.
Aber auch die österreichischen Soldaten hatten unter den zermürbenden Jahren
des Stellungskrieges in den Alpen gelitten und außerdem wurde die
Versorgung
der Armee an Lebensmitteln immer kritischer. In dieser Phase des Krieges
starben tausende von Soldaten nicht nur im Kampf, sondern auch an Hunger, an
Schwäche, an der Kälte und an den Folgen der verheerenden Epidemie der "spanischen
Grippe", die im Jahr 1918 Soldaten wie Zivilbevölkerung gleichermaßen
dezimierte. So konnte auch der Sieg bei Caporetto keine entscheidende
Wendung für die Mittelmächte bringen. Im Gegenteil: Nachdem die
italienischen Truppen neu organisiert worden waren, und die miltärische
Unterstützung durch England, Frankreich und die USA anlief, wurde im
Oktober 1918
bei Vittorio Veneto eine Gegenoffensive gestartet, die jetzt auf eine
inzwischen weitgehend demoralisierte und in Auflösung befindliche
österreichische Armee traf und so schließlich zu einem "Sieg", zur Kapitulation der österreichischen Armee und
damit zum Zusammenbruch des Habsburgerreiches führte.
Zwischen 1915 und 1918 hatte Italien insgesamt 5,6 Millionen
Soldaten mobilisiert, am Ende waren 650.000 Tote
zu beklagen
und 950.000 Verletzte, von denen noch einige
Zehntausende in den Jahren danach den Verletzungen erlagen. Die Verluste auf
österreichischer Seite beliefen sich (an der Italienfront) auf etwa
300.000 Soldaten. Eines der
vielen sinnlosen Massaker des 20. Jahrhunderts.
Österreichische Soldaten in einem italienischen Gefangenenlager
Foto: Autor unbekannt
Die Konsequenzen des 1. Weltkriegs für Italien:
Italien war auf der Seite der Gewinner und bekam jetzt nicht nur die Stadt
Triest und das Trentino, sondern auch
Südtirol (wo die übergroße Mehrheit deutschsprachig war) und
Istrien (mit einer starken Minderheit von Slaven) zugesprochen.
Aber Italien wollte mehr, und zwar die strategisch wichtige Hafenstadt
Rijeka (italienisch Fiume) und Teile der
dalmatischen Küste, was die anderen Siegermächte jedoch
verweigerten.
Was in Deutschland die "Dolchstoßlegende" war (die Theorie,
dass das auf dem Schlachtfeld ungeschlagene Heer von den Politikern im
Heimatland einen Dolchstoß in den Rücken bekam), wurde jetzt in Italien der
"vittoria mutilata", der Sieg Italiens, der von den
Verbündeten verstümmelt worden war. Die italienischen Nationalisten waren empört
und die faschistische Bewegung Mussolinis nährte diese Empörung nach
Kräften. Triest, Istrien und Dalmatien wurden für die nächsten Jahrzehnte
zum ewigen Streitapfel, dem noch Hunderte von Italienern, Kroaten und
Slowenen zum Opfer fallen sollten.
Aber auch das neugewonnene Südtirolmit seiner
deutschsprachigen Mehrheit machte Italien bis in die 60er und 70er Jahre
des 20. Jahrhundert reichlich Ärger, aber das ist eine andere (nicht sehr ruhmreiche)
Geschichte. Mehr dazu in diesem Artikel.