Nach dem Friedensvertrag von 1866, durch den die Region Venetien an Italien
fiel, wurde die Nordküste des Gardasees zum
“Strand” des Kaiserreichs der Habsburger, der mit der zunehmenden Effizienz der lokalen Infrastrukturen
die mediterrane Umwelt mit dem mitteleuropäischen Komfort bereicherte.
Auf diese Weise wurden auch die Gäste gewonnen, die den Essgewohnheiten und
den Sitten und Gebräuchen der Italiener misstrauisch gegenüberstanden.
Unter den Ausländern, die jetzt die sonnenverwöhnten Ufer des Gardasees
besuchten, traf man daher auch immer mehr Vertreter angesehener europäischer
Kulturkreise.
Von 1899 bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges hielt sich Heinrich Mann an
verschiedenen Orten Italiens auf, gelegentlich auch in Begleitung
seines Bruders Thomas. So etwa mehrere Monate in der Kleinstadt
Palestrina in der Nähe von Rom, vorwiegend aber in
Riva del Garda am Gardasee im Sanatorium
des mit ihm befreundeten Arztes
Christoph Hartung
von Hartungen.
1888 hatte Christoph Hartung von Hartungen
in Riva am Gardasee ein
Reform-Sanatorium in Form einer Natur-
und Wasserheilanstalt gegründet. Es handelte sich dabei um eines der ersten dieser Art
in Österreich, wo Heilung nach einer ökologisch orientierten Medizin
angestrebt wurde. Dort praktizierte Hartungen auch Homöopathie, ebenso wie
die damals moderne Psychoanalyse. Ein besonders wichtiger Teil der Terapie
waren die menschliche und geistige Zuwendung zum Patienten.
Das Sanatorium des Dr. von Hartungen in Riva del Garda,
wo sich Heinrich Mann mehrere Male aufhielt.
Foto aus dem Jahr 1910:
Autor unbekannt
Der erste Aufenthalt von Heinrich Mann in
dieser Heilanstalt war im Jahr
1893, wo er nach dem Blutsturz, der ihn befallen hatte, Heilung suchte.
Wie sein Bruder Viktor erzählte, war Heinrich überzeugt, dass er seine Gesundheit
den Ratschlägen von Dr. Hartungen verdankte.
Während der insgesamt fast zweieinhalb Jahre, in denen er sich im
Sanatorium von Hartungen aufhielt, nahm er regen Anteil am Leben des
Städtchens am See, er wohnte häufig in Pensionen und begab sich ins
Sanatorium nur für die Kuren, um so den persönlichen Kontakt mit der Kunst
und Kultur Italiens pflegen zu können. Schon bald begann Heinrich Mann, sich
auch für das Volk und die politischen und sozialen Verhältnisse zu
interessieren.
Heinrich Mann und der Arzt von Hartungen (unter ihm mit Hut), zusammen mit
Freunden und Patienten der Heilanstalt
Foto:
Autor unbekannt
Während seines ersten Aufenthalts in
Riva schrieb Heinrich Mann im Jahr
1902
einige wichtige Erzählungen, die an den Ufern des Gardasees spielten, wie
zum Beispiel
Heldin und
Jungfrauen, sowie
Das Wunderbare,, Erzählungen,
in denen zahlreiche Bezüge zum Gardasee und insbesondere zu
Riva zu finden
sind, sowohl was die Umgebung, als auch was die Protagonisten betrifft.
Das Thema von
Das Wunderbare kreist um magische und
unwiederholbare Umstände, die vielleicht nur ein einziges Mal in die
Alltäglichkeit des Leben einbrechen und die die Sinne, den Geist und die Gefühle
derartig beeinflussen, dass davon letztlich nur das Irreale und
Unglaubliche eines Traumphänomens bleibt.
Die Landschaft, in der die Novelle angesiedelt ist, hat typische alpine
Eigenschaften, ähnlich derer, die Mann an der Nordküste des Gardasees
erlebte.
Jungfrauen und
Heldin aus der Sammlung
Stürmische Morgen (1906) sind zwei
Novellen, die ausdrücklich dort angesiedelt sind.
Jungfrauen behandelt das Thema der
ersten Liebeserfahrungen von zwei jungen Schwestern aus gutbürgerlichen
deutschen Verhältnissen, Claire und Ada, die ihre erste Reise in eine noch
unbekannte Welt antreten.
Die Erzählung enthält alle Elemente der typischen Umwelt des Gardasees und
insbesondere des Städtchens
Torbole; allerdings ist nur die Landschaft
italienisch, die Protagonisten sind alle Deutsche.
Anders ist der Hintergrund der Novelle
Heldin, in der weniger die Landschaft
des Gardasees, als vielmehr seine Menschen und ihre sozialen Probleme im
Mittelpunkt stehen und ein Strukturelement für die thematische Entwicklung
darstellen.
Heinrich Mann und Dr. Hartungen wurden Freunde, während seiner Aufenthalte
in Italien besuchte Mann oft das Sanatorium und die Familie der Hartungen,
mit der er zeitlebens in Kontakt blieb.
Text:
Chiara Berto