Johann Winckelmann (1717-1768),
Portrait von Angelika Kauffmann (1764)
Quelle:
Wikimedia Commons
Über Johann Winckelmann:
Die teutonische Italien-Sehnsucht begann mit Goethe - so liest man häufig -
und viele Deutsche folgen noch heute bei ihren Italienreisen seinen Spuren.
Ist aber falsch. Denn als Goethe im Jahr 1786 zu seiner fast zweijährigen
Italienreise aufbrach, folgte er bereits anderen Spuren, und zwar denen des
damals sehr berühmten Archäologen und Kunstwissenschaftlers Johann
Winckelmann, der 13 Jahre lang in Rom gelebt hatte und der die Art und
Weise, wie der deutsche Dichterfürst Italien bereiste und aufnahm,
nachhaltig beeinflusste.
Dass Winckelmann heute sehr viel weniger bekannt ist als Goethe ist
verständlich, denn schon ein einziger Vers wie "Kennst du das Land, wo die
Zitronen blühn..." wirkt im Bewusstsein eines Volkes sehr viel nachhaltiger
als die zahlreichen wissenschaftlichen Abhandlungen über die antiken
Kunstschätze Italiens, die Winckelmann während seines Italien-Aufenthalts
schrieb und mit denen er die Kunstfreunde Europas beeindruckte und zu
begeisterten, aber auch kritischen Reaktionen inspirierte. Und während
Literatur und Poesie bleiben, hat die Wissenschaft, der sich Winckelmann
verschrieben hatte, die Eigenschaft, früher oder später von neuen
Erkenntnissen von Grund auf erneuert zu werden, was den Ruhm ihrer Pioniere
unvermeidlich etwas verblassen lässt.
"Edle Einfalt und stille Größe" - das sind die Werte, die nach Winckelmann
die antike Kunst Griechenlands auszeichnen und er stritt mit Nachhalt und
Leidenschaft dafür, dass die Künstler seiner Zeit die Nachahmung der Antike
zu ihrer Leitlinie machten. Damit hatte er allerdings nur begrenzten Erfolg, ebenso wie Goethe und Schiller, die 50 Jahre nach ihm
Kunstwettbewerbe im Sinne Winckelmanns ausschrieben, die keine große
Resonanz hervorriefen. Der Geist der Romantik, der die Literatur und die
Kunst des beginnenden 19. Jahrhunderts in immer stärkeren Maße durchdrang,
hatte nur wenig Verständnis für die Forderungen Winckelmanns. Und in vielen
Dingen irrte Winckelmann auch, was allerdindings bei den bescheidenen
Mitteln, über die die Archäologie damals verfügte, nicht verwunderlich ist.
So wäre Winckelmann, der "die barbarische Sitte des Bemalens von Marmor und
Stein“ heftig kritisierte und das "Weiß als die wahre Farbe der Schönheit"
postulierte, wahrscheinlich konsterniert gewesen, hätte er die (wie wir
heute wissen) mit kräftigen Farben bemalten Tempel und Skulpturen des antiken Griechenlands
im Originalzustand gesehen.
Aber all das mindert nicht die großen Verdienste, die Winckelmann als
Begründer der klassischen Archäologie und der
modernen Kunstwissenschaften
erworben hat. Er war es, der den Entwicklungsbegriff in die Kunstbetrachtung
einführte und die Stilepochen systematisierte. Auf die Altertumsforscher
seiner Zeit und auf die so genannte "Weimarer
Klassik" um Goethe und Schiller übte er einen enormen Einfluss aus, auch
wenn sich der spätere Goethe wieder etwas von den Kunstauffassungen
Winckelmanns entfernte.
Denkmal für Winckelmann in seiner Geburtstadt Stendal
Foto:
Tilman Harte
Winckelmann und Italien:
Eigentlich wäre Winckelmann viel lieber nach Griechenland gegangen, das aber
in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts unter türkischer Oberhoheit stand.
So wurde Italien zum ersehnten Reiseziel aller Freunde der antiken Kunst,
auch weil die Kunst des alten Rom in vieler Hinsicht dem griechischen Modell
folgte. Obwohl seine finanziellen Mittel sehr begrenzt waren, verfolgte auch
Winckelmann seit seiner Jugend mit großer Hartnäckigkeit das Ziel,
früher oder später einmal nach Italien zu fahren. Als
ihm dann im Alter von 37 Jahren endlich die Möglichkeit dazu angeboten wurde, war auch die
Konversion
zum Katholizismus, die als Voraussetzung einer Einstellung bei einem
römischen Kardinal verlangt wurde, kein unüberwindliches Problem für ihn,
wahrscheinlich auch, weil er sich (wie übrigens auch Goethe) nur
sehr begrenzt mit den traditionellen Religionsauffassungen identifizieren
konnte.
Was auffällt ist, dass sich Winckelmann in den 13 Jahren, die er,
mit Ausnahme von wenigen Reisen, in Rom verbrachte, in seinen Schriften kaum
mit dem Land und den Menschen auseindersetzt, die doch für jemanden wie ihn,
der in Preußen aufgewachsen ist, einigermaßen fremd gewesen sein mussten.
Aber Italien war für Winckelmann eben hauptsächlich das Land, wo er die antike Kunst am
besten studieren konnte; das Ambiente in dem er sich bewegte, war das der
reichen, kunstinteressierten Kardinäle, der Aristokratie niedrigen und
höheren Ranges, der ausländischen Künstler, die in Rom lebten und die das
Land, in dem sie lebten, ebenfalls überwiegend aus der Perspektive eines
Kunstliebhabers betrachteten.
Und das war genau die Perspektive, die auch
Goethe bei seiner späteren Reise einnahm. Sein Reisetagebuch spiegelt das
deutlich wider: es ist ein Buch über ein
Goethesches Italien, ein idealisiertes Italien, das nur er so erleben
und beschreiben konnte. Und damit hat Goethe, auf den Spuren Winckelmanns,
das Italienbild vieler Deutschen bis heute mitgeprägt. Allerdings hatte
Goethe, mehr als Winckelmann, gelegentlich auch einen aufmerksamen Blick für
die italienischen Realitäten.
Die Ermordung Winckelmanns:
Liebe macht blind, sagt man, und das gilt für Winckelmann wahrscheinlich in
doppeltem Sinn. Zum einen, was die bereits erwähnte reduzierte Perspektive
des fanatischen Kunstliebhabers für Land und Leute angeht - aber das lag wohl
auch an der Natur seiner Arbeit. Zum anderen aber auch in einem konkreteren,
existenzielleren Sinn: Winckelmann war homosexuell veranlagt, was nicht nur
aus seinem Leben und seinen Freundschaften, sondern auch aus seinen Werken,
in den er in begeistertem Ton die Schönheiten des männlichen Körpers feiert,
ziemlich eindeutig hervorgeht.
Aber offensichtlich war dieser Teil seiner Persönlichkeit strikt getrennt
von seinem sonstigen Leben, was an den dramatischen Umständen seiner
Ermordung in einem Hotel in Triest, am
8. Juni 1768, erschreckend klar wird:
Winckelmann, dem man sonst eigentlich eine gute Menschenkenntnis nachsagte,
war damals inkognito in Triest angereist, in Begleitung von Francesco
Arcangeli, einem 31jährigen toskanischen Koch, den er wahrscheinlich erst
kurz zuvor kennen gelernt hatte. Allen Zeugen erschienen die beiden wie enge
Freunde, die zusammen spazieren gingen, sich lange unterhielten und nie
miteinander Streit hatten.
Nach einer Woche wurde der Wirt des Hotels durch
Schreie aus dem Zimmer Nr. 10 allarmiert, eilte sofort herbei und fand Winckelmann blutüberströmt am
Boden, während sein angeblicher Freund, noch mit dem Messer in der Hand und ein paar geraubten Münzen, überstürzt flüchtete. Ob diese Bluttat nun aus
Habgier geschah, wie der bald gefasste und später hingerichtete Mörder
behauptete, oder aus homosexueller Leidenschaft - oder, was am
wahrscheinlichsten ist, aus beidem zusammen -
konnte in der nachfolgenden Gerichtsverhandlung nicht geklärt worden. Auf jeden Fall war es ein erschreckender und
unbegreiflicher Mangel an Vorsicht, der Winckelmann im Alter von 50 Jahren
das Leben kostete, seiner vielversprechenden Karriere abrupt ein Ende setzte
und die gesamte Kunstwelt schockierte.
Über die Winckelmann-Biografie von Klaus Werner Haupt:
Die lesenswerte Winckelmann-Biografie, die Klaus-Werner Haupt, Jahrgang
1951, heute Gymnasiallehrer im Ruhestand, jetzt vorgelegt hat, bietet dem
Leser, über die Lebensgeschichte Winckelmanns hinaus, ein reich dokumentiertes Zeitbild
des 18. und des beginnenden 19. Jahrhunderts. Alle Personen, die
Winckelmanns Lebensweg beeinflusst haben und die von ihm beeinflusst wurden,
werden ausführlich vorgestellt, besonders natürlich Goethe und Schiller, die
aus dem Studium seiner Werke wertvolle Anregungungen für die eigene
literarische Produktion erhielten und für die der Altertumsforscher einen
nie geleugneten persönlichkeitsbildenen Wert hatte.
Klaus-Werner Haupt hat die Schriften Winckelmanns eingehend studiert und
an Originalschauplätzen recherchiert, und das merkt man seiner Biografie an:
die zahlreichen Zitate aus den Büchern des Altertumsforschers, aus seinen
Briefen und anderen Schriften, sowie die ausführlichen Beschreibungen der
Orte, an denen er lebte und arbeitete, das alles illustriert durch
zahlreiche Fotos und andere Abbildungen, lassen Leben und Werk Winckelmanns und
dessen Bedeutung als Begründer der wissenschaftlichen Archäologie und der
Kunstwissenschaften sehr plastisch nachvollziehen. Ein empfehlenswertes Buch für alle
Kunstliebhaber.