Das Euro-Symbol vor dem ehemaligen Hauptsitz der Europäischen
Zentralbank in Frankfurt Foto: Wolfgang Pruscha
Ein kurzer Blick in die (nahe) Vergangenheit:
Es ist noch gar nicht so lange her: noch bei der
Einführung des Euro im Jahr 2002 gehörten die Italiener zu denjenigen
in Europa, die die
Zugehörigkeit zum vereinten Europa und zur gemeisamen Währung fast einhellig
begrüßten. Die
Italiener schienen überzeugtere Europäer zu sein als andere Völker, die
Erwartungen an
Europa waren hoch und die Teilnahme an den Europawahlen immer
deutlich besser als in den anderen Ländern. Was sich die Italiener
von Europa erwarteten, waren politische Stabilität, Effizienz und
Modernität der Verwaltung, Sauberkeit und Korrektheit in der
Politik, ein Ende der Vetternwirtschaft und der Korruption. Mit
anderen Worten: sie erwarten von Europa das, was der italienische
Staat offensichtlich nicht garantieren konnte. Und viele schauten damals auf
Deutschland, das häufig als positives Modell angesehen wurde,
Dass es den europäischen Zauberstab für die italienischen Probleme
nicht gibt, haben die Italiener allerdings bald bemerken müssen. Die hohen Erwartungen
waren reine Illusion, denn seine "Hausaufgaben" muss Italien natürlich
selbst erledigen.
Doch dann drehte sich der Wind radikal:
Und als der erhoffte Segen nicht eintraf und die
internationale Wirtschaftskrise ab 2009 auch Italien erfasste - und
Italien wurde, gerade aufgrund seiner wirtschaftlichen Rückständigkeit, nachhaltiger getroffen als andere Länder Europas -
drehte sich der Wind radikal.
Besonders für viele rechtsorientierte italienische Politiker waren
jetzt plötzlich Europa und der Euro (und besonders
Deutschland) Schuld an allem, was Italien erleiden musste: besonders die steigende
Arbeitslosigkeit (die Jugendarbeitslosigkeit lag im Frühjahr 2014 bei etwa
40%) wurde der Politik Brüssels angelastet, der Euro und die Europäische
Zentralbank wurden zum Sündenbock für alle wirtschaftlichen und finanziellen
Probleme Italiens erklärt. Die Taktik, die Schuld an eigenen Problemen dem
Ausland zu geben ist nicht ganz neu, zieht aber immer, denn einfache
Erklärungen, die außerdem von der eigenen Verantwortung entlasten, sind
bequem, sowohl für die Politiker, als auch für diejenigen, die sich ihnen
gerne, ohne dabei viel denken zu müssen, anvertrauen.
Dass die chronische Instabilität der Lira vor der
Einführung des Euro viele wirtschaftliche und finanzielle Probleme
Italiens verursacht hatte, war vergessen und so ergaben Umfragen im Frühjahr 2014, dass
mehr als ein Drittel aller Italiener eine Rückkehr
zur alten "Lira" befürwortete.
Zurück zur Lira?
Die Europawahlen 2009 und 2014:
Bei den Europawahlen 2009 -
noch vor der großen Wirtschafts- und
Finanzkrise - sprach man allgemein von einer Europamüdigkeit
der Italiener, die sich vor allem in einem starken Rückgang der
Wahlbeteiligung ausdrückte, obwohl diese damals immer noch über dem
europäischen Durschschnitt lag. Außerdem gab es damals in Italien noch keine
Parteien mit expliziten Anti-Europa oder Anti-Euro-Programmen.
Diese Europamüdigkeit hat sich bis zu den Europawahlen 2014
in Teilen der italienischen Öffentlichkeit in eine ausgesprochene Europa-
und Eurofeindlichkeit verwandelt. Kaum eine Talkshow im italienischen
Fernsehen verging, ohne dass nicht mindestens einer der Teilnehmer "Frau
Merkel" (die in Italien meist mit Deutschland identifiziert wird) als
Hauptverantwortliche dafür ausmachte, dass Italien so große Mühe hat, sich
aus der Krise zu befreien. Inzwischen hatten sich die beiden
rechtsaußen-Parteien Lega und
Fratelli d'Italia und die populistische
Protestpartei Movimento 5 Stelle zu
ausgesprochen Anti-Europa- und Anti-Euro-Parteien entwickelt, obwohl sie
damals noch nichts miteinander zu tun haben wollten.
Bei diesen Wahlen
im Jahr 2014 spielten
europäische Themen allerdings kaum eine Rolle, man diskutierte (und
polemisierte) fast ausschließlich über innenpolitische Themen, Europa
spielte meist nur die Rolle des bösen Buben, der Italien blockiert und den
es so weit wie möglich auzuschalten galt.
Italien und Europa heute:
Im März 2018 gab es in Italien Neuwahlen und da hat sich die steigende
Europafeindlichkeit sehr deutlich niedergeschlagen: die beiden
Parteien, die an die Regierung kamen, die populistische
Movimento
5 Stelle und die Lega
(die sich inzwischen von einer norditalienischen
Separatistenpartei zu einer strammen nationalen Rechtspartei entwickelt hatte), sprachen zwar offiziell nicht mehr von der Rückkehr
zur Lira und vom Austritt aus der Europäischen Union, ließen aber keine
Gelegenheit aus, die EU zu attackieren und ihre Regeln zu missachten.
Die Europawahlen 2019 haben diese
Tendenz im wesentlichen bestätigt. Immer weniger Italiener verstehen sich
heute in erster Linie als Europäer. Die im Jahr 2020 ausgebrochene
Covid-19-Pandemie und die damit
verbundenen Milliardenhilfen, die Italien aus Europa zugesprochen bekam, hat
die Anti-Europa Stimmung in Teilen der Bevölkerung zwar etwas gemildert,
generell herrschen aber immer noch Misstrauen und Distanz vor gegenüber allem, was in Brüssel und Straßburg entschieden wird. Die beiden Parteien, die
heute (2021) diese negativen Einstellungen fleißig schüren (Lega
und Fratelli d'Italia) erreichen bei den
Umfragen im Schnitt regelmäßig zusammen etwa
35-40%.
Ein verwandtes Thema:
Wer
regiert Italien?
Über die italienische Regierung, die politischen Parteien, die Parlamentswahlen und die
staatlichen Institutionen Italiens.