Reise nach Italien - Die italienische Gesellschaft
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Wahlplakate zu den Parlamentswahlen 2022
Wahlplakate zu den Parlamentswahlen 2022
Seit gut 70 Jahren werden die politischen Entscheidungen in Deutschland auf Bundesebene im Wesentlichen stets von der CDU oder der SPD gefällt, manchmal auch von beiden Parteien zusammen und oft mit Beteiligung der FDP oder der Grünen. Andere Parteien, wie die Linke oder die Alternative für Deutschland, haben bislang nur auf regionaler oder lokaler Ebene Bedeutung. Das macht die deutsche Politik relativ übersichtlich und die Deutschen haben sich, wohl oder übel, daran gewöhnt.

Von Klarheit und Übersichtlichkeit gibt es in der italienischen Politik ziemlich wenig. Die italienische Parteienlandschaft ist stark zersplittert und ändert sich ständig (Namensänderungen, Zusammenschlüsse, Spaltungen, wechselnde Wahlbündnisse). Neue Parteien - oft reine Protestparteien - schießen aus dem Boden wie die Pilze im Herbst, andere Parteien verschwinden dagegen sang- und klanglos von der politischen Bühne. Von den Parteien, die bis Anfang der 1990er Jahre in Italien existierten und die bis dahin die Politik dominierten, ist heute keine Spur mehr vorhanden. Und um die heutige politische Situation in Italien zu verstehen, muss man genau da anfangen: beim politischen Erdbeben, das in den 1990er Jahren die italienische Politik zutiefst erschütterte.

1991 - die erste Protestwelle:

Mani pulite (saubere Hände) war der Name einer Serie von Prozessen, die in den 1990er Jahren ein weit verzweigtes System von Korruption und illegaler Parteienfinanzierung offen legten und große Teile der politischen Welt Italiens betrafen. Das Vertrauen in die politischen Parteien und Institutionen wurde dadurch tief erschüttert.
Demonstration der lega Nord
Ein Treffen der Lega Nord (2011), über der Bühne: "Verso la libertà" (Der Freiheit entgegen)
Foto:
Fabio Visconti
Die erste Reaktion war die Gründung der Lega Nord (Leader Umberto Bossi) im Januar 1991, einer separatistischen Partei, die die steigende Unzufriedenheit über die politischen Skandale auf das in Norditalien verhasste Rom ablenkte und ernsthaft die Abspaltung einer von ihr erfundenen Region Padanien erreichen wollte. Eine Zeit lang erlangte die Lega Nord in einigen Regionen erhebliche Erfolge (im Norden um die 25%, im Zentrum und im Süden allerdings nur 0-1%), aber diese erste Protestwelle konnte nichts Wesentliches erreichen, auch aufgrund Ihrer völlig unrealistischen Forderungen.

1994 - die zweite Protestwelle:

Eine ernsthaftere Antwort auf die Probleme Italiens schien die 1994 gegründete Partei Forza Italia (unter der Führung von Silvio Berlusconi) zu sein, die von ihrer Gründung im Januar 1994 bis zur Parlamentswahl im März 1994 in nur zwei Monaten von 0% zur größten Partei Italiens (mit 21%) wurde.
Silvio Berlusconi
Silvio Berlusconi beim Händeschütteln (2008)
Foto: European People's Party
Diese zweite Protestwelle basierte auf der weit verbreiteten Illusion, dass ein erfolgreicher Industrieller (Berlusconi war einer der reichsten Männer Italiens und Gründer des einflussreichen Medienkonzerns Mediaset) auch ein guter und effizienter Ministerpräsident sein würde. Seine großspurigen Versprechen (weniger Steuern, weniger Bürokratie, höhere Renten) konnte er allerdings nie realisieren, obwohl er vier Mal mit verschiedenen Koalitionen Ministerpräsident von Italien war (1994–1995, 2001–2005, 2005–2006 und 2008–2011). Mehr noch, im Jahr 2011 brachte seine Politik Italien an den Rand des Staatsbankrotts, der nur durch eine neue Regierung aus parteilosen Fachleuten unter dem EU-Kommissar Mario Monti abgewendet werden konnte. Aber parteilose Fachleute werden in der italienischen Politik nur schlecht geduldet und so wurde Monti, nachdem er mit einem radikalen Sparpaket seine unbeliebte Schuldigkeit getan hatte, nach nur einem Jahr an der Regierung wieder das Vertrauen entzogen.

Die schnell verblassende Faszination des "Machers" Berlusconi, der außerdem immer mehr in alle Arten von Skandalen verwickelt wurde und die Unfähigkeit der stark zersplitterten linken Opposition ließ eine neue Protestwelle, die dritte seit 1990, anwachsen.

2009 - die dritte Protestwelle:

Im Jahr 2009 gründete der bekannte Kabarettist Beppe Grillo die Bewegung Movimento 5 Stelle, die mit ihren V-Days die traditionelle italienische Politwelt schockierte. Das V stand dabei für Vaffanculo, die Kurzform einer obszönen Beleidigung (auf Deutsch etwa „Fick dich in den Arsch“), die auf alle anderen politischen Parteien gemünzt war. Ihre politische Linie war von Populismus, Antikorruption, direkte auf Internet basierender Demokratie, radikaler Ökologismus, EU-Skepsis und Globalisierungskritik geprägt. In wenigen Jahren erlebte diese Bewegung einen fulminanten Aufstieg: 2013 wurde sie mit 25,6% die größte italienische Partei und 5 Jahre später erreichte sie sogar 32,7%.
Beppe Grillo
Beppe Grillo bei einer Wahlkampfrede in Turin (2010)
Foto: Giorgio Brida
Aber nach knapp 3 Jahren an der Regierung in zwei verschiedenen Regierungskoalitionen (ironischerweise einmal mit der Lega, und einmal mit der Partito Democratico, d.h. mit zwei Parteien, die sie bis kurz vorher noch wütend beschimpft hatten) war auch die Glaubwürdigkeit des "Movimento" bei vielen Wählern stark gesunken. Gleichzeitig war Italien, auf dem Höhepunkt der COVID-19-Pandemie, wieder einmal an dem Punkt, wo nur eine neue Technokratenregierung der „nationalen Einheit“ - (unter Mario Draghi, Präsident der Europäischen Zentralbank) Italien aus der Krise helfen konnte.  Nachdem das "Movimento 5 Stelle" ein Jahr lang auch die Draghi-Regierung mitgetragen hatte, brachte sie, zusammen mit den Rechtsparteien, Draghi zu Fall.

Ergebnis: Das Movimento 5 Stelle war von 32,7% (2013) auf 15,4% (2022) abgerutscht, nachdem es sich unter Giuseppe Conte zu einer (fast) normalen populistischen Linkspartei entwickelt hatte. Die Lega (nicht mehr Lega Nord) hatte sich inzwischen von einer Separatistenpartei unter Matteo Salvini zu einer strammen Rechtspartei entwickelt, war aber vom Rekordergebnis bei den Europawahlen 2019 (32,7%) bis auf 8,8% bei den Parlamentswahlen 2022 abgemagert. Forza Italia, das sich einige Jahre lang Popolo della Libertà ("Volk der Freiheit") nannte, dann aber wieder zum ursprünglichen Namen zurückgekehrt war, ist von 37,4% (2008) auf 8,1% (2022) abgerutscht und hat immer weniger Gewicht in der italienischen Politik.

2022 - die vierte Protestwelle:

Nach derartig vielen Auf unf Ab, kurzlebigen Begeisterungen und herben Enttäuschungen, sollte man meinen, dass das italienische Wahlvolk müde geworden ist. Aber nein...

Es scheint fast so, dass sich ein großer Teil der Italiener immer wieder an neue Hoffnungen klammert und dass das ständig vorhandene latente Protestpotential immer neue Ventile sucht. Nach Lega, Forza Italia und Movimento 5 Stelle ist (wieder einmal in kürzester Zeit) ein neuer Stern am Himmel der italienischen Politik aufgegangen: Fratelli d'Italia ("Brüder Italiens", der Name ist ein Zitat aus dem Text der italienischen Nationalhymne).
Giorgia Meloni
Giorgia Meloni (2022)
Foto: Vox España
Die Wurzeln dieser Partei liegen in der nie untergegangenen Mussolini-Nostalgie vieler Italiener, die aber in der Nachkriegszeit keine bedeutenden Wahlergebnisse erzielen konnte. Seidem Giorgia Meloni das Ruder dieser postfaschistischen Partei in die Hand genommen hat, ging es mit ihr aufwärts. Zunächst langsam, dann aber, vor allem seitdem Fratelli d'Italia die einzige Oppositionspartei unter der Regierung von Mario Draghi war, ganz rasant: von 4,4% (2018) auf 26% (2022). Giorgia Meloni hat in dieser Zeit geschickt versucht, den ursprünglich neofaschistischen Charakter ihrer Partei wenigstens teilweise vergessen zu lassen und den Fratelli d'Italia eine nationalkonservative politische Linie zu geben.

Wieder einmal eine neue vehemente Protestwelle, die vierte seit den 1990er Jahren. Ob auch diese neue Hoffnung vieler Italiener letztendlich in Enttäuschung umschlägt, wird sich in den nächsten Jahren zeigen

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