links: ein Strand im Norden von Sardinien rechts: der tägliche Verkehrsstau in Palermo
Fotos: Wolfgang Pruscha
oben: ein Strand im Norden von Sardinien unten: der tägliche Verkehrsstau in Palermo
Fotos: Wolfgang Pruscha
Ein paar Worte vorweg:
Wenn Sie sich bei 35° im Schatten an einem der italienischen Strände
räkeln und die Seele baumeln lassen, dann wissen Sie: das ist Urlaub in Italien. Wenn Sie dagegen bei
der gleichen afrikanischen Hitze täglich zur Arbeit
fahren müssen (für die Sie in der Regel weniger Geld bekommen als in
Deutschland) und dabei für einen Kilometer 10 Minuten brauchen,
dann wissen Sie: das ist der Alltag in Italien.
Italien ist ein schönes Land und es ist sehr leicht, dort einen
phantastischen Urlaub zu verleben. Nicht ganz so leicht ist es allerdings,
dort zu leben. Denn, wie alles im Leben und auf der Welt, hat auch Italien seine zwei Seiten.
Hier einige
Hinweise und Vorsichtsmaßregeln, die helfen sollen, mögliche Enttäuschungen zu vermeiden.
Wohnen in Italien:
Eine Wohnung mieten
ist nicht ganz einfach, schon in Deutschland. In Italien ist es noch ein Stück
schwerer, denn der italienische Wohnungsmarkt ist ganz anders als der deutsche.
Ungefähr 80% aller Wohnungen in ganz Italien (mit regionalen
Unterschieden) sind Eigentumswohnungen, die meist auch von den Eigentümern bewohnt
sind. Das bedeutet, dass die Zahl der mietbaren
Wohnungen sehr viel niedriger ist als in Deutschland. Vor allem in
Universitätsstädten
führt das dazu, dass die Mietpreise nicht selten Wucherdimensionen annehmen. Auch
Studentenwohnheime sind viel seltener als in Deutschland. Mit viel
Geld können Sie natürlich alles bekommen, was Sie wollen, aber für einen normalen
Geldbeutel erfordert die Wohnungssuche in Italien erheblich mehr Geduld,
Ausdauer und Nervenbelastbarkeit.
Eine Wohnung kaufen ist ein Unternehmen, das nicht nur Geld
erfordert. Die Wohnungen kosten im Durchschnitt das gleiche wie in Deutschland - wie in Deutschland auch mit großen Unterschieden zwischen Stadt und Land,
Kleinstädten und Großstädten, zwischen Zentrum und Vorstadt. Wenn Sie sich dazu
entschieden haben, werden Sie die geballte Macht der italienischen
Bürokratie
zu spüren bekommen, der gegenüber die deutsche ziemlich unterentwickelt
erscheint.
Studieren in Italien:
Ein oder zwei Semester an einer
italienischen Universität zu verbringen, kann eine sehr schöne und nützliche
Erfahrung sein, aber auch hier gilt es, sich vorzubereiten. Ich
kenne sowohl die deutschen als auch die italienischen Universitäten (vor allem
die geisteswissenschaftlichen Fächer) und habe immer wieder
festgestellt, dass die italienischen Universitäten sehr viel stärker
verschult
sind. Was verlangt wird, ist massenhaft abfragbares Wissen, die Zahl der für eine
Prüfung zu lesenden (und oft einfach mehr oder weniger
auswendig zu lernenden) Bücher ist in der Regel viel höher, als man es von
deutschen Unis gewohnt ist. Als Erasmus-Student hat man damit zum
Glück allerdings weniger Probleme.
Erwarten Sie nicht, dass Sie für die
gleiche Arbeit in Deutschland und in Italien das gleiche Gehalt bekommen. Die
Gehälter sind in Italien deutlich niedriger (bis auf die der
Top-Manager...), die Lebenshaltungskosten
sind dagegen ungefähr die gleichen wie in Deutschland (vor allem in Norditalien). Die italienischen Gesetze,
vor allem was die Arbeitsplatzsicherheit angeht, sind ziemlich
arbeitnehmerfreundlich, was für diejenigen, die
schon eine feste Anstellung haben, in der Regel positiv ist. Leider hat das aber
auch die unangenehme Nebenwirkung, dass die Arbeitgeber oft viel lieber
Verträge abschließen, die eben kein festes Angestelltenverhältnis
bedeuten oder, schlimmer noch, Schwarzarbeit, ohne jeden Vertrag. Und der
Anteil der Schwarzarbeit ist in Italien sehr hoch, viel höher als in
Deutschland.
Die (offizielle) Arbeitslosigkeit ist in Italien viel
höher als in Deutschland (Anfang 2019: 10,3%). Bei der
Jugendarbeitslosigkeit (18-35 Jahre) sind die Zahlen noch dramatischer
(Anfang 2019: 32,0%). Zu den offiziellen Zahlen muss man allerdings
noch all die dazurechnen, die zwar arbeitslos sind, aber nicht arbeitslos gemeldet
sind und das sind in Italien ziemlich viele. Im Süden ist die Arbeitslosigkeit
im Durchschnitt höher als im Norden. Eine Arbeitslosenversicherung
wie in Deutschland gibt es in Italien nicht, in den Fällen, in denen es
(eine ziemlich knappe) Arbeitslosenhilfe gibt, dauert sie nur wenige Monate.
Wer arbeitslos ist, muss im Prinzip selber sehen, wie er zurecht kommt. In
den meisten Fällen muss da die Familie einspringen - das ist übrigens mit ein
Grund, warum die italienischen Jugendlichen so lang in der Familie wohnen
bleiben. Harz 4 ist Luxus dagegen - die arbeitslosen Italiener beneiden die
arbeitslosen Deutschen.
Wenn Sie gute - möglichst sehr gute - Italienischkenntnisse haben, dazu möglichst auch noch
einigermaßen gut Englisch sprechen, und wenn Sie nicht älter als 30-35 Jahre alt sind, dann haben Sie
allerdings eine gute Ausgangsposition bei der Arbeitssuche (vor allem in
Norditalien), wenigstens in den Berufen, wo deutsche Sprachkenntnisse wichtig sind.
Leben in Italien:
Wie schon gesagt: die
Kompliziertheit und Langsamkeit der italienischen Bürokratie
lässt manchmal Sehnsucht aufkommen nach der Arbeitsweise deutscher Ämter.
Auf der anderen Seite gilt: wer die richtigen Bekannten an den richtigen
Schreibtischen hat, für den kann Italien auch das effizienteste Land Europas
sein - was man natürlich positiv und negativ sehen kann. Die
Vetternwirtschaft ist in Italien ziemlich normal, besonders in Süditalien.
Wer sehr an Korrektheit, Pünktlichkeit und
Ordnung hängt,
wird in Italien einige Probleme haben.
Die Mentalität der Italiener hat viele angenehme Seiten und macht
das Leben in vieler Hinsicht leichter, aber auch in dieser Beziehung werden Sie in Italien nicht nur Positives erleben.
Die Italiener sind (im Durchschnitt) viel stärker als die
Deutschen von Traditionen und gesellschaftlichen Konventionen beeeinflusst.
Das wird viele vielleicht überraschen, die die Italiener nur im Urlaub oder
in den italienischen Restaurants in Deutschland kennen gelernt haben. Ist
aber eine unleugbare Tatsache. Das "Anderssein" der Italiener bedeutet nicht
"freies Leben", im Gegenteil, es ist sehr stark geregelt - das merken Sie aber erst, wenn
Sie dort leben.
Ob sich ein Deutscher in Italien wohl fühlt oder nicht, das hängt sehr von
seiner geistigen Flexibilität ab. Man kann in Italien gut
leben, wichtig ist nur, dass man seine Vorstellungen von "normaler
Lebensart" relativiert, dass man bestimmte Dinge akzeptiert, die man in
Deutschland nicht akzeptieren würde. Integration ist nicht immer einfach.
Ich habe genug Deutsche kennen gelernt, die nach ein paar Jahren in Italien
frustriert und desillusioniert waren und auch einige, die dann nach
Deutschland zurückkehrten.
Viele Deutsche kommen nach Italien,
weil "Amore" ihre Motivation zur
Auswanderung mehr oder weniger sanft bestärkt hat.
Wenn Sie dann in Italien sind, bemerken sie in der Regel, dass an ihrem
italienischen Freund (oder an ihrer italienischen Freundin) eine ganze
Familie dranhängt, was Konsequenzen haben kann, die für Deutsche, die auf ihre
Unabhängigkeit erpicht sind, oft unvorhersehbar und nicht immer erfreulich sind.
Vergessen Sie nicht, dass Italien ein sehr katholisches Land ist und dass
Traditionen und gesellschaftliche Konventionen dort wichtiger sind als in Deutschland. Das zu beachten und zu respektieren ist besonders wichtig, wenn Sie
in Süditalien leben.
Bella Italia:
Über die angenehmen Seiten der
italienischen Küche sind Berge von Büchern geschrieben worden,
überflüssig, hier noch weitere (durchaus berechtigte) Lobeshymnen
hinzuzufügen. Ich möchte nur noch eine
kleine Anmerkung machen zur Sonne, die, wie viele glauben, in Italien angeblich immer scheint.
Verlassen Sie sich nicht zu sehr darauf.
Wenn Sie in Verona, Bologna oder Florenz im Oktober oder November auf Sonne
hoffen, könnte es sehr gut passieren, dass Sie dort die gleichen ungemütlich-grauen Regentage abbekommen wie daheim in
Deutschland. In den vier Monaten zwischen November und Februar habe ich zwischen Düsseldorf (meiner ersten Heimat)
und der Region Venetien (meiner zweiten) kaum wesentliche Wetterunterschiede festgestellt.
Aber dann, ab März, merkt man doch, dass man in Italien ist :-)
Eine letzte Bemerkung zum Wetter: wenn Sie Probleme mit rheumatischen
Beschwerden haben, sollten Sie die norditalienische Poebene lieber meiden:
die praktisch ganzjährige hohe Luftfeuchtigkeit (drückende Schwüle im Sommer
und zahlreiche Nebeltage im Winter) wird Ihnen ganz schön zusetzen.
Alles in allem:
Alles in allem: Italien ist kein
Traumland, sondern ein normales Land, mit vielen
schönen Seiten, aber eben auch mit ebenso vielen weniger schönen Seiten. Sich für
längere Zeit auf eine andere Lebensart und eine andere Mentalität
einzulassen, ist schwerer als manche denken, ist aber auf jeden Fall eine Erfahrung, die ich jedem nur
empfehlen kann. Vorurteile und/oder Illusionen über das Land, wo die
Zitronen blühn, sollte man allerdings besser vorher ablegen, sonst wird man
Italien weder richtig kennen, noch schätzen lernen.
Ihr Kommentar zu dieser Seite Ulrike Meyer: Ich lese schon seit ein
paar Jahren immer wieder Ihre Seite und kann mich leider meiner Vorrednerin
anschliessen. Nach acht Jahren Fernbeziehung, Z.T. vollständig und erzwungen
durch Corona Pandemie bin ich im Juni 2021 mit Anfang 40 und unserer sechs
Monate alten Tochter nach Piemont zu meinem Partner gezogen. Auch ich habe
die Beobachtung gemacht, dass es eine erhebliche Kluft zwischen der hohen
Lebensqualität wie Landschaft, Klima, historische Ortskerne mit selbst in
Jahr 2023 wunderschönem Einzelhandel, Lebensgefühl wie Pasticceria Besuch
mit viel Genuss für wenig Kosten oder spontaner Aperol Spritz auf einem
wunderbaren Renaissance Platz UND dem normalen Arbeits- und Sozialleben
gibt.
Es wird sehr viel Engagement, zeitliche und örtliche
Verfügbarkeit, Verdienstausfall durch häufige und spontane Absagen,
langwieriges und nicht immer erfolgreiches Eintreiben des Geldes nach
erbrachter Leistung , etc erwartet. Ich habe den Eindruck gewonnen, dass man
auch als "Hochqualifizierter" hier in Erwerbsleben grundsätzlich "unten"
anfängt und sich sehr langsam und mühsam durch unsichere und vollkommen
assymmetrisch konzipierte Verhältnisse hocharbeiten muss. Auch in meinem
Fall als vermeindlich dringend gesuchte Ärztin. Deshalb kann ich allen
potentiell Auswanderfreudigen nur raten, nicht lange Zu warten, sondern wenn
möglich, so früh wie möglich den Schritt zu wagen und somit diese ersten
Jahre hinter sich zu bringen, so lange man noch gewillt ist, dies
mitzumachen und im Heimatland noch nicht allzu etabliert ist.
Auch
das Leben mit Kind ist hier ganz Anders als in Deutschland. Die Menschen
sind im Gespräch insgesamt herzlicher und nehmen mehr Anteil, Aktivitäten
wie Krabbelgruppe o.ä. gibt es aber zumindest in kleinen oder mittleren
Orten nicht, Kurse wie Baby Schwimmen o.ä.sind rar, finden nur wenige Male
statt und sind sehr, sehr teuer. Zumindest mir fiel es schwer, trotz
Engagement in Kirchengemeinde, Kita, diverse Kurse, Dauerpräsenz Spielplatz
, etc auch nur halbwegs verbindliche Kontakte zu knüpfen. Zumindest in
dieser sehr wirtschaftsstarken Provinz leben fast alle Menschen das ganze
Leben lang am gleichen Ort, beide Elternteile arbeiten meist in Vollzeit und
verfügen über jahrzehnte lange Freundschaften und ein oft sehr enges und
zeitlich intensiv gepflegtes familiäres Netz ( nur wir leider nicht). Ich
hatte den Eindruck, dass es wenig Bedarf oder zumindest wenig Zeit und
Energie für neue Bekanntschaften oder gelegentliche gemeinsame
Freizeitaktivitäten gibt. Die Kinderbetreuung durch Kita ist zwar teuer,
aber zeitlich und qualitativ sehr gut ( braucht man aber eigentlich bei
minimaler Erwerbstatigkeit nicht....).
Auch das staatliche
Gesundheitswesen ist zumindest hier in der Provinz Cuneo nach meiner
Erfahrung fachlich und organisatorisch ausgezeichnet und sehr effizient,
dies hatte ich nicht erwartet! Es gibt auch auf dem Land zahlreiche
kulturelle Veranstaltungen und Initiativen, von denen man oft kurzfristig
per Aushang oder Zettel erfährt. Ich habe ein paar Monate gezögert, werde
aber in Herbst nach etwas mehr als zwei Jahren nach Deutschland zurück
kehren.
Bei fehlender beruflicher und somit auch ökonomischer und
sozialer Perspektive fühle ich mich bei aller Schönheit weiterhin im Urlaub
und nicht in einer langfristigen Realität angekommen. (26/06/2023) Petra Luft: Ihre Seite habe ich schon vor Jahren gesichtet, und heute, nachdem ich (auch aus Düsseldorf, auch im Veneto) 2 Monate hier im Veneto verbracht habe, muss ich sagen, dass jedes einzelne Ihrer Wörter vollkommen und richtig sind.
Ich hatte 8 Jahre Fernbeziehung hinter mir und somit den Entschluss gefaßt, es einmal hier zu versuchen. Auch wenn man, so wie ich, schon vorher Gelegenhheit hatte, die landestypischen Eigenschaften der Italiener kennenzulernen und abzuschätzen, so ist das reale Gefühl vor Ort doch noch etwas ganz anderes.
Und es ist auch wahr, dass man jenseits der 35 Jahre nicht mehr mit einem Job rechnen kann (aber das gilt ja auch in Deutschland). Mir wird wahrscheinlich in absehbarer Zeit mein Taschengeld ausgehen und dazu führen, wieder nach Deutschland zurückzukehren, um dann wieder eine Pendelbeziehung zu führen.
Ihnen wünsche ich weiterhin viel Erfolg! (20.03.2018)