Über die nationale Identität der Italiener
Italienische Fußballfans beim Public Viewing in Rom während der WM 2006
Foto:
Alessio Damato 
"Italien ist nur ein geographischer Begriff" (Klemens von Metternich):
Es mag paradox erscheinen, aber als im Jahre 1861 mit der 
Gründung des Königreichs Italien die Einheit Italiens 
erreicht wurde, war von den "Italienern" noch nicht viel vorhanden. Es gab 
zwar Sizilianer, Römer, Neapolitaner, Toskaner, Lombarden, Venezianer und 
Piemontesen, sie alle zusammen als "Italiener" zu bezeichnen, das fiel den 
Zeitgenossen Garibaldis allerdings noch schwer. 
Der österreichische Fürst Klemens von Metternich hatte schon einige 
Jahre vorher behauptet, dass Italien "nur ein geographischer Begriff" 
sei und meinte damit nicht nur die politische Zersplitterung der Halbinsel 
vor der Einigung, sondern auch die unübersehbaren - und für viele 
unüberbrückbaren - Unterschiede in Sprache, Mentalität und Traditionen 
zwischen den Einwohnern von Turin, Venedig, Florenz, Rom und Palermo.
Und Massimo d'Azeglio, einer der 
Protagonisten der italienischen Einigungsbewegung, brachte es nach 1861 auf 
den Punkt, als er sagte: "Nachdem Italien geschaffen wurde, müssen 
jetzt die Italiener geschaffen werden". Keine einfache 
Aufgabe, denn von den 23 Millionen 
Einwohnern, die Italien damals hatte, sprachen und verstanden weniger als die Hälfte 
Italienisch, Lombarden und Sizilianer hatten enorme 
Verständigungsschwierigkeiten miteinender und 78% der damaligen "Italiener" konnten weder lesen noch 
schreiben.
Worauf basierte die italienische Einheitsbewegung?
Ein Vergleich mit Deutschland macht die Unterschiede klar: Auch Deutschland 
ist erst sehr spät (
1871) national geeinigt worden. Aber im Gegensatz zu Italien existierte in 
Deutschland schon seit den napoleonischen Kriegen am Anfang des 19. 
Jahrhunderts ein Nationalbewusstsein, das in breiten Schichten der 
Bevölkerung stark verwurzelt war. In Italien war dieses Nationalbewusstsein nur in 
einer kleinen intellektuellen Elite vorhanden, die sich auf die 
Schaffung der einheitlichen italienischen Literatursprache durch Dante, 
Petrarca und Boccaccio berief und auf die 
Kultur der 
Renaissance, deren Hauptvertreter wie Raffaello, Michelangelo und 
Leonardo da Vinci in ganz Europa berühmt waren. Auch das 
Papsttum, 
das über Jahrhunderte eine religiöse und politische Macht in Italien 
darstellte, war ein Teil der nationalen Wurzeln, auf die sich einige 
Vertreter des "Risorgimento", der italienischen Nationalbewegung, beriefen 
- obwohl deren antiklerikaler Flügel, der im Papst eher ein Hindernis für die 
italienische Einigung sah, wesentlich einflussreicher war.
Die Einnahme von Rom durch italienische Truppen 
(September 1870),
einer der Höhepunkte der italienischen Einheitsbewegung
Zeitgenössisches Gemälde 
Es waren also hauptsächlich 
kulturelle Gemeinsamkeiten, die 
die Protagonisten des Risorgimento inspirierten, Ideen, die sich allerdings 
unweigerlich mit ökonomischen und politischen Überlegungen vermischten. Die 
Einigung Italiens war nämlich in der Realität eine Reihe von miltärischen 
Eroberungen der italienischen Regionen durch das 
Königreich 
Sardinien/Piemont, die dann nachträglich durch Volksabstimmungen 
legalisiert wurden. Was diese Eroberungen realtiv leicht machte, war weniger 
das Bewusstsein einer nationalen Identität, sondern eher der 
Freiheitswille gegenüber ausländischer Besatzung und der Ruf nach
demokratischen und sozialen Reformen - in Süditalien 
gegenüber der 
Bourbonenherrschaft, in Mittelitalien 
gegenüber dem 
Vatikanstaat und in Norditalien gegenüber
Österreich. Ein italienisches Nationalbewusstsein war bei 
der Gründung Italiens in großen Teilen der überwiegend bäuerlichen Bevölkerung kaum vorhanden.
Als die erhofften demokratischen und sozialen Reformen dann ausblieben und 
als die neuen Herren aus Norditalien sich im eroberten Süden ebenso 
arrogant aufführten wie die alten, drohte das eben vereinte Italien schon 
nach wenigen Jahren wieder auseinanderzubrechen. Nur hartes militärisches 
Eingreifen und ein sehr zentralistisch organisierter Staatsapparat konnte 
die zerbrechliche Einheit zusammenhalten.
 
Was hat die Italiener dann doch geeint?
Der erste wichtige Faktor, der die Italiener vereinte und zu dem Volk 
machte, das sie heute sind, war die Einführung der allgemeinen Schulpflicht, 
die nicht nur den Analphabetismus stark reduzierte, sondern auch 
gesamtitalienische Ideale vermittelte. Ebenso wichtig war die 
allgemeine 
Wehrpflicht, die junge Männer aus den verschiedensten Teilen Italiens in den 
Kasernen des neugeschaffenen Königreichs zusammenführte. Die öffentlichen 
Feiertage, die bis zur Einigung Italiens fast ausschließlich religiösen 
Charakter hatten, wurden gezielt durch nationale Feiertage ergänzt, bei 
denen die Helden des Risorgimento und die wichtigsten Ereignisse der 
Einheitsbewegung gefeiert wurden.
Kriegsspielzeug zur patriotischen Erziehung der Kinder
Gemälde (1862) von  
	Gioacchino Toma 
Der erste Weltkrieg und Mussolini:
Während des ersten Weltkrieges hatte Italien insgesamt 5,6 
Millionen Soldaten mobilisiert, am Ende waren 650.000 Tote zu beklagen und 
etwa 950.000 Verletzte. Das gemeinsame Erleben und Erleiden der sinnlosen, 
aber äußerst blutigen Schlachten, der gemeinsame tägliche Kampf ums 
Überleben im Schützengraben hat Nord- und Süditaliener zweifellos 
einander näher gebracht und es war bezeichnenderweise kein großer Sieg, 
sondern eine vernichtende Niederlage - die von Caporetto - die Italien im 
Bewusstsein seiner Bürger mit einem Schlag als eine Nation erscheinen ließ.
Der pathetische Nationalismus von Mussolini, der in der 
Zwischenkriegszeit Italien wieder zur Macht und zur Größe des römischen 
Reiches zurückbringen wollte, hat dagegen relativ wenig Spuren im 
Bewusstsein der Italiener hinterlassen. wohl auch, weil er schon 
1943, zwei Jahre vor Ende des zweiten Weltkrieges, ziemlich erbärmlich 
scheiterte. Der Begriff "Patria" (Vaterland) hatte dagegen in der 
Resistenza, dem bewaffneten Widerstand gegen die deutschen Besatzer 
und gegen den italienischen Rest-Faschismus in den letzten Jahren des zweiten Weltkrieges, eine erheblich stärkere 
einigende Kraft. Auch heute noch steht die Resistenza bei den meisten 
Italienern in hohem Ansehen.
Die Allmacht des Fernsehens:
In den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts, als das 
italienische Fernsehen mit der Ausstrahlung von regelmäßigen Programmen 
begann, versammelten sich die Menschen in den Kinos, um die beliebtesten 
Sendungen gemeinsam zu sehen.
Foto:
	Twice25 
Worin alle pädagogischen Bemühungen italienischer Kultus- und Erziehungsminister 
nur wenig anrichten konnten, was auch die Kriege und der italienische 
Faschismus nur unvollkommen schafften, das gelang in der zweiten Hälfte des 
20. Jahrhunderts der 
Allmacht des Fernsehens spielend: selbst in den 
abgelegendsten Dörfern hielt die italienische Hochsprache Einzug und die 
Fernsehnachrichten, die Quizsendungen, die Talkshows und die zahlreichen Seifenopern 
diktierten immer mehr die Themen, über die im ganzen Land in der 
Mittagspause und abends an der Bar debattiert wurde. Dass heute 60 Millionen Italiener die italienische Sprache verstehen - auch wenn viele 
beim Sprechen dann doch wieder den traditionellen lokalen Dialekt vorziehen 
- das ist zweifellos auch ein Verdienst des Fernsehens.
Die Italiener heute:
Sind also die Italiener heute ein einiges Volk? Keineswegs. Die das ganze 
Land durchziehenden Stürme der Begeisterung und die rot-weiß-grünen 
Fahnenmeere, die das Land dominierten, als die italienische 
	Nationalmannschaft die Fußballweltmeisterschaft gewonnen hat, sollten nicht 
darüber hinwegtäuschen, dass viele Norditaliener immer noch von der Mauer 
träumen, die sie vom verhassten Süditalien trennen soll und dass sich viele 
immer noch in ersten Linie als Sizilianer, Römer, Lombarden oder Venezianer 
fühlen und erst in zweiter Linie als Italiener. 
Wie auch in anderen Ländern Europas hat die wirtschaftlich Krise die alten 
Sprengstoffe, die zwar nie entschärft waren, aber doch scheinbar weniger 
gefährlich erschienen, wieder neu entzündet. Der im Vergleich zum Süden 
wohlhabende Norden Italiens will seinen Reichtum nicht mehr mit anderen teilen und 
der traditionelle Graben, der die Italiener - auch aufgrund ihres 
ausgeprägten Individualismus - schon immer von ihrem Staat trennte, ist 
heute vielleicht tiefer denn je.
Die Aufgabe, "die Italiener 
zu schaffen" die Massimo d'Azeglio vor über 150 Jahren als 
wichtigste Aufgabe des italienischen Staates sah, kann noch lange nicht 
zu den Akten gelegt werden. Und es liegt nicht nur an den Italienern, auch 
der Staat selbst ist nicht unschuldig daran, dass "seine" Bürger so viele 
Schwierigkeiten miteinander und mit Italien als Nation haben.
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Ihr Kommentar zu dieser Seite
Ulrich Laier:
Eine sehr interessante Übersicht zur Geschichte von Italien, ich bin 
nun um einige sehr aufschlussreiche Inhalte zur "Italienischen Nation" 
reicher geworden und das über den Umweg zur Recherche, ob ich für eine 
Italienreise einen Adapter für meine elektischen Geräte benötige.
Herzlichen Dank für diese sehr, sehr interessanten Zusammenhänge zur 
Geschichte von Italien! Ich finde die Stichworte und die 
Themenzusammenstellungen äußerst gelungen!
(11.06.2020) 
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