Im Innenhof des Hauses der Julia ("Casa di Giulietta") in
Verona
Foto:Dominic Schwöbel
Romeo und Julia - was ist dran an der traurigen Legende?
Wenn Shakespeare heute die Rechte an der Vermarktung seiner weltberühmten
Dramenfiguren geltend machen könnte, dann wäre er nur von dem, was aus Verona in
seine Kasse fließen würde, ein steinreicher Mann. Denn heute gehören das
Haus von Julia, ihre
Grabstätte in einem ehemaligen Franziskanerkloster und
das Haus von Romeo zu den wichtigsten Sehenswürdigkeiten
Veronas. Vor allem das Haus von Julia ist zu einem
regelrechten Pilgerort der Verliebten aus aller Herren Länder geworden.
Dabei stammt die herzzerreißende Geschichte der beiden
unglücklichen Geliebten, die wegen der blutigen Fehde zwischen ihren beiden
Familien nicht zueinander kommen können und die deshalb mit einem tragischen
Doppel-Sebstmord enden, gar nicht von dem berühmten englischen Dramatiker -
hat er doch beim Schreiben dieses Theaterstücks im Jahre
1597 auf andere
literarische Quellen zurückgegriffen: vor allem auf den Italiener
Luigi Da
Porto, von dessen Novelle aus dem Jahr 1531 zahlreiche Abschriften und
modifizierte Versionen in ganz Europa und auch in England zirkulierten.
Allerdings hat er aus dem vorgefundenen Stoff ein Meisterwerk geschaffen,
das die Geschichte von Romeo und Julia unsterblich werden ließ.
In Verona wird diese Geschichte mit großem Aufwand lebendig gehalten und die
schon erwähnten drei Pilgerstätten, zu denen man noch die Bronzebüste
Shakespeares und die Gedenktafel neben dem Museum
Maffeiano zählen sollte, scheinen dem Ganzen ein historisches Fundament zu
geben.
Wie gesagt, sie scheinen es zu tun, denn um es gleich zu sagen: Außerhalb
der dichterischen Fantasie von Luigi Da Porto und von Shakespeare hat das
wohl berühmteste Liebespaar der Welt nie existiert und alles, was man in
Verona als
historische Reminiszenzen besichtigen kann, ist frei erfunden und hat
keinerlei historische Basis. Die beiden Familien, Montague und
Capulet (im
Italienischen Montecchio e Capuleti oder Cappelletti), haben zwar im
Mittelalter tatsächlich in Verona existiert, von einer Rivalität zwischen
ihnen gibt es allerdings keine Spur in den historischen Quellen.
links: die Statue der Julia vor ihrem angeblichen Wohnhaus rechts: die vielen Zettelchen mit Botschaften und
Bittschriften von Verliebten
Foto:
Hans Weingartz /
Luu
Das, was heute als "Haus von Julia" präsentiert wird, existiert im Grunde
erst seit 1937. Die Idee, ein heruntergekommenes Gebäude im Zentrum von
Verona zur "Casa di Giulietta" herauszuputzen, kam
Antonio Avena, dem
damaligen Direktor der Museen von Verona. Seine Wahl fiel auf das Haus in der
Via Cappello 23, da der Scheitelstein am Eingangsbogens des Innenhofes das Wappen der Familie Capulet zeigt, eines der wenigen Überreste aus
der Zeit, als diese Familie (möglicherweise) hier wohnte. In den Jahrhunderten
vor 1937 hatte das Haus als Stall mit angegliederter Fremdenherberge gedient,
die nach einer Ausssage von Charles Dickens allerdings zu den mit Abstand schlechtesten in Verona
gehörte. Das historische Foto gibt eine Idee davon:
Das "Haus von Julia" am Ende des 19. Jahrhunderts, vor der
touristischen Restaurierung:
kaum wiedererkennbar und
keine Spur von dem berühmten Balkon
Foto:
Anonymer Autor
Antonio Avena verwandelte das eigentlich abbruchreife Gebäude in ein
wunderschönes mittelalterlich aussehendes Haus mit Museum, wobei ihm als
Modell für den radikalen Umbau das amerikanische Filmdrama
Romeo and Juliet diente, eine
Metro-Goldwyn-Mayer Produktion aus dem Jahr 1936. Besonders die Balkonszene des
Films, mit der Liebeserklärung von Romeo an Julia (die es schon bei
Shakespeare gibt), hatte es Antonio Avena angetan, dieses Klischee war zu schön, um es an diesem
jetzt sehr romantischen Ort nicht Realität werden zu lassen. So benutzte der
emsige Direktor der Museen von Verona die Marmorsteine eines Sarkophags, die im Lager des
"Museo di Castelvecchio" aufbewahrt waren und die auf das 14. Jahrhundert
zurückgingen, um den bühnenwirksamen Balkon am Haus anzubringen, wo heute,
zweimal täglich, zwei Schauspieler den Flirt des berühmten Liebespaares
nachstellen.
Seit 1969 steht im Hof auch eine vergoldete Bronzefigur der Julia, die an
einigen Körperteilen schon verdächtig blankgeputzt ist, wahrscheinlich von
mehrheitlich männlichen Händen. Vor allem die Wände des Eingangsportals sind
ständig übersäht mit Inschriften und Zettelchen mit Bittschriften von
glücklich und unglücklich Verliebten aus aller Herren Länder. In
regelmäßigen Abständen werden sie von den Wächtern wieder entfernt - aber
nur um Platz zu schaffenn für neue Liebesbotschaften.
Im Museum des Hauses kann man sogar das Bett von Julia bewundern - und wenn
man fest daran glaubt, dann ist es auch wahr. Wenn man ein Auge zudrückt, kann man das Ganze als
aufwendige Illustration des Shakespearschen Dramas bewundern; was der
englische Dramenautor selbst dazu sagen würde, bleibt im Ungewissen - und
das ist vielleicht besser so für die unbestreitbare Suggestivkraft und die
Beliebtheit des Ortes.
Unterkünfte in Verona, Flüge und Mietwagen:
Das Haus von Romeo und die Grabstätte von Julia:
Zwei weitere Kultstätten in Verona: links: das Haus des Romeo rechts: der Sarkophag der Julia
Foto:
Testus /
Petra Sofia Zimmermann
Weit weniger frequentiert ist das sogenannte Haus von Romeo in der Via
Arche Scaligere 4, was aber nur daran liegt, dass es in Privatbesitz ist und
im Inneren nicht besichtigt werden kann. Eigentlich sehr schade, denn im
Gegensatz zur Casa di Giuglietta ist dieses Haus ein authentisches
Gebäude, eines der wenigen erhaltenen mittelalterlichen Wohnhäuser im
Zentrum von Verona und von diesen ist es vielleicht das schönste und am
besten erhaltenste. Neben dem Torbogen in einer hohen, zinnenbekrönten Mauer
ist ein schlichtes Schild "Casa di Romeo" angebracht.
Das Einzige, was dieses Haus zur "Casa di Romeo" werden ließ, ist die
relative Nähe zur "Casa di Giulietta", denn darauf, dass es sich um ein Haus
der Familie Montague handeln könnte, deutet gar nichts hin. Historische
Quellen, die das vermuten lassen könnten, gibt es nicht. Aber um das Szenarium des
Shakespearschen Dramas komplett zu machen, brauchte man eben ein solches Haus -
und Romeo sollte es nicht zu weit zu laufen haben bis zum Balkon der
geliebten Julia.
Und schließlich gibt es in Verona noch die Grabstätte der Julia, einen
steinernen Sakophag aus rotem Marmor in einer gewölbten Gruft des ehemaligen
Kapuzinerklosters San Francesco al Corso. Auch hier war wieder Antonio
Avena am Werk, der Direktor der Museen von Verona, der 1937 das "Haus der
Julia" aus dem Nichts gezaubert hatte. Und die Inspiration dazu gab ihm der
gleiche amerikanischen Film "Romeo and Juliet", der schon das heutige
Aussehen der "Casa di Giulietta" stark beeinflusst hat. Der Film war zwar
nicht in Verona gedreht worden, aber die Schlussszene mit dem Tod des
Liebespaares spielte in einer Krypta. Um die Touristen, die infolge des
oskarnominierten Films in Verona erwartet wurden, nicht zu enttäuschen,
wurde als Grabstätte der Julia ein ähnlich aussehender Ort gesucht und im
ehemaligen Kapuzinerkloster "San Francesco al Corso" auch gefunden. Der antike
Sarkophag, der vorher irgendwo achtlos im Klostergarten herumgestanden
hatte, wurde in die Gruft transportiert und fertig war die publikumswirksame
Grabstätte von Julia. Dass der Sarkophag ohne Deckel dasteht, wird
zwar einigen Besuchern merkwürdig vorkommen, aber hier gilt das gleiche, wie
bei allen anderen Pilgerorten der Romeo und Julia-Legende: man muss nur fest
daran glauben.
Nicht nur in Verona...
Die beiden "Burgen von Romeo und Julia" in Montecchio Maggiore
Foto:
Filippo Mazzaia
Ungefähr 50 km östlich von Verona befindet sich das Städtchen
Montecchio
Maggiore, eigentlich ein eher von Industrie geprägter Ort, in dessen Norden
sich jedoch zwei etwa 300 m voneinander entfernte Burgen befinden, die die
Stadt heute in die Serie der Kultstätten von Romeo und Julia eingereiht hat.
Die beiden Burgen (siehe Foto oben), deren eigentliche Namen
Castello della
Villa und Castello della Bellaguardia sind, werden heute im Volksmund
fast immer nur Castello di Giulietta (Burg
der Julia) und Castello di
Romeo"(Burg von Romeo) genannt, obwohl sie bekanntermaßen nie etwas mit den
beiden Familien Montague und Capulet zu tun hatten. Wie ist es dazu
gekommen?
Hinweisschilder auf die beiden Burgen in Montecchio
Maggiore
Luigi da Porto, der eine der ersten Versionen der Legende schuf, auf die
dann später auch Shakespeare zurückgriff, lebte in einer Villa in
Montorso Vicentino in der Nähe von Montecchio Maggiore und von ihren
Fenstern aus sind die beiden Burgen gut zu sehen. Anfang des 20.
Jahrhunderts, zur gleichen Zeit also, als man in Verona die
tourismusfördernde Wirkung der Legende von Romeo und Julia entdeckte und zu
fördern begann,
erinnerte man sich auch hier an Luigi da Porto, der sich angeblich von
diesen beiden Burgen zu seinem Werk hatte inspirieren lassen. Der Name der
Familie Montegue ist
im Italienischen "Montecchi" und die Ähnlichkeit mit Montecchio, dem
Namen der Stadt, hat ihr
Übriges getan, um die Umbenennung der Burgen zu fördern, obwohl diese
Namensähnlichkeit reiner Zufall ist.
Und da die neuen Namen der beiden Burgen so positive Auswirkung auf den Fremdenverkehr
hatten, hat die Gemeinde von Montecchio Maggiore noch eins draufgelegt, nennt
sich jetzt auch gern Città di Giulietta e Romeo (Stadt von Julia und
Romeo) und veranstaltet jedes Jahr folkloristische Events, um sich damit
diesen neuen Titel auch zu verdienen - und dabei auch etwas zu verdienen. Aber schön sind
die beiden Burgen trotzdem.
Fazit:
Was macht's schon, wenn alles frei erfunden ist - Hauptsache, es lockt die romantischen
Geister an.