Italien hat wirklich keinen Mangel an großartigen archäologischen
Ausgrabungsstätten und die jahrhundertelangen Hochkulturen von Etruskern,
Griechen und Römern, die die Halbinsel dominierten, fördern ständig neue
interessante Funde ans Tageslicht. Aber was am 16. August 1972 und in den
dauffolgenden Tagen im Süden von Kalabrien geschah, hat nicht nur
die Fachwelt der Kunsthistoriker und Archäologen in Aufregung versetzt. Was
man heute im Museum von
Reggio Calabria (in der Region
Kalabrien, an der
Südspitze des italienischen "Stiefels") bewundern kann, war eine
sensationelle Entdeckung, wie sie nur selten passiert.
Und sie hat Probleme und Rätsel aufgeworfen, die auch heute, nach
jahrzehntelanger intensiver wissenschaftlicher Forschungsarbeiten, nur zum
geringen Teil geklärt sind.
Was geschah am 16. August 1972?
An jenem Tag ist der italienische Hobbytaucher Stefano Mariottini nahe dem Dorf
Porto Forticchio di Riace Marina unterwegs auf einer seiner
Unterwasser-Entdeckungstouren im Ionischen Meer. In acht Metern Tiefe sieht er plötzlich einen
menschlichen Arm aus dem sandigen Untergrund ragen. Zuerst denkt er an eine
Wasserleiche, aber dann stellt er fest, dass der Arm aus Metall ist. Er
allarmiert das zuständige Kulturamt im etwa 120 Km entfernten Reggio
Calabria und damit beginnt das anfangs ziemlich hektische zweite Leben der
sogennanten "Krieger von Riace".
Spezialisierte Tauchereinheiten der Carabinieri werden nach Riace gesandt,
die zwischen dem 21. und dem 22. August jenes Jahres zwei Bronzestatuen,
beide jeweils etwa 2 m groß und
400 kg schwer, mit großer Mühe aus dem
sandigen Meeresgrund hieven und sie unter dem Andrang zahlreicher
Neugieriger an den Stand transportieren. Die Umstände der Bergung sprechen
von einer ziemlich dilettantischen Vorgehensweise, bei der fast eine kleine
Katastrophe passiert wäre, denn eine der beiden Statuen fällt während des
mühsamen Transports an den Strand wieder auf den Meeresboden zurück, bleibt
aber zum Glück unbeschädigt. Jeder der zahlreichen Zuschauer konnte die
Statuen anfassen (siehe Foto unten) und außerdem hat man beim Abtransport ein großes
Stück antiker Keramik, das zusammen mit den Statuen geborgen worden war, in
der allgemeinen Begeisterung am Strand einfach "vergessen".
Sofort ist allen klar,
dass es sich hier um einen sensationellen Fund handelt: beide männlichen
Statuen sind nahezu unbeschädigt und von beeindruckender Schönheit, nackt
und athletisch gebaut, die Augen leuchten in Bernsteinfarben, die
Brustwarzen sind aus Kupfer und Zähne und Wimpern aus purem Silber. Es
handelt sich um die prachtvollsten Funde aus der griechischen Antike, die
jemals in Italien gemacht wurden.
Während der Bergungsarbeiten der Bronzstatuen
Foto:
Autor unbekannt
Die Restaurierung:
Aber bevor die beiden Krieger, die wahrscheinlich in der klassischen Periode
der griechischen Kunst um 460-430 v. Chr entstanden sind, in ihren ganzen
Schönheit dem Publikum gezeigt werden können, sind lange und sehr delikate
Säuberungs- und Restaurierungsarbeiten notwendig. Über zwei Jahrtausende
lang waren die beiden Krieger in ihrem Grab unter dem Meeresgrund vor
Erosion und Verfall geschützt, der Kontakt mit der Luft kann jetzt sehr
gefährlich werden. Und viele antike Schätze wurden in der Vergangenheit
durch oberflächliche und nicht-fachkundige Restaurierungen unwiederbringlich
zerstört.
Zuerst beginnen die Restaurationsarbeiten in Reggio Calabria, dann im dafür
besser ausgerüsteten Florenz. Mit modernsten Technologien werden die
Bronzestatuen gereinigt und präpariert, mehrere Male ausgewaschen und von
inneren Schlacken befreit, was das Gewicht der beiden Statuen um jeweils
etwa 160 Kilo reduziert. Doch erst nach acht Jahren sind die
beiden griechischen Krieger für eine öffentliche Schaustellung bereit.
Während dieser Arbeiten machen die Restauratoren noch eine verblüffende
Entdeckung: Trotz der Größe der muskulösen Figuren ist die Bronze nur 6-9
Millimeter dick und dennoch stehen die beiden Statuen in absoluem
Gleichgewicht auf ihren Füßen, sie ruhen vollkommen in sich. Eine wahre
Meisterleistung des Bildhauers, der sie geschaffen hat.
Die beiden Austellungen in Florenz und später in Rom, auf denen die beiden
Krieger zum ersten Mal gezeigt werden, sind ein überwältigender
Besuchererfolg. Nach einigem Hin und Her - in Kalabrien befürchtete man, dass
Florenz die beiden Statuen für sich behalten wollte - wurden sie schließlich
nach Reggio Calabria zurückgebracht, wo sie heute im
Museo
Archeologico Nazionale ausgestellt werden.
Dei Bronzestatuen befinden sich in hervorragendem Zustand
und sind Zeugnisse einer Meisterleistung der Bildhauerkunst
Foto:
restaurars.altervista.org/
Rätsel und Legenden:
Obwohl die Archäologen heute manchmal in der Lage sind, aus einer kleinen
Tonscherbe ihre Herkunft, ihr Alter, ihren Schöpfer und ihre ganze
Geschichte herauszulesen, haben die beiden Statuen zahlreiche bis jetzt noch
ungelöste Rätsel aufgeworfen. Obwohl sie gemeinhin als "Krieger" bezeichnet
werden, ist diese Charakterisierung nicht unumstritten. Es könnte sich auch
um Athleten, Gladiatoren, oder sogar Götter handeln. Die Position der Arme
und die Haltung ihrer Hände lassen den Schluss zu, dass sie ursprünglich in der
linken Hand einen Schutzschild und in der rechten Hand eine Waffe,
vielleicht einen Speer, hielten. Mindestens einer der beiden muss
ursprünglich auch einen Helm getragen haben, aber auch im weiten Umkreis der Fundstelle
wurden weder Schilder noch Waffen oder Helme gefunden.
Wer hat die beiden Statuen geschaffen, war es ein Künstler oder zwei
verschiedene? Wurden sie zur gleichen Zeit geschaffen? Wo standen sie, bevor
sie auf dem Meeresgrund landeten? Wurden sie in Griechenland geschaffen,
bevor sie nach Süditalien verschifft wurden oder lebte der unbekannte
Bildhauer in
Kalabrien, das damals von Griechenland kolonisiert war? Zu all diesen Fragen gibt es zahlreiche Hypothesen aber
bisher keine
sicheren Antworten.
Eine andere ungelöste Frage ist: wie kamen die beiden Statuen eigentlich auf
den Meeresgrund? Die naheliegendste Erklärung, dass sie sich auf einem
Schiff befanden, das an jener Stelle untergegangen ist, musste bald
verworfen werden, denn auch in diesem Fall wurden keinerlei Reste eines
solchen Schiffs gefunden. Wurden die beiden schweren Statuen vielleicht
einfach über Bord geworfen um einen möglichen Untergang zu vermeiden?
Möglich, aber nicht sicher. Und wann geschah diese fatale Schiffsreise?
Man vermutet zwischen dem 1. Jahrhundert v.Chr. und dem 1. Jahrhundert n.Chr.,
aber auch das ist nicht gesichert.
Wenn es bei solch aufsehenerregenden Funden auch nach Jahren immer noch so viele
ungelöste Rätsel gibt, dann lässt die Legendenbildung nicht lange auf sich
warten. Ein bei der Restauration beteiligter Professor starb wenige Zeit
später, ebenso ein bekannter Archäologe, nachdem er einen Artikel über die
beiden Krieger verfasst hatte. Und so begannen einige, vom "Fluch der
Krieger" zu sprechen, die sich jetzt dafür rächten, dass ihr
jahrtausendelanger Schlaf auf dem Meeresgrund gestört worden war...
Unterkünfte in Reggio Calabria, Flüge und Mietwagen:
Mehr Infos über das archäologische Museum:
Stadtplan online von Reggio Calabria
offizieller Name des Museums: Museo Archeologico Nazionale di Reggio
Calabria
Adresse: Palazzo Piacentini - Piazza De Nava, 26 - Reggio
Calabria
Besucher pro Jahr: etwa 165.000
Eröffnung des Museums: 1954
Ausstellungsstücke auf 4 Stockwerken: die beiden griechischen
Bronzestatuen von Riace, andere wertvolle archäologische Funde aus Kalabrien
griechischer und römischer Herkunft, Unterwasserarchölogie