Karnevalsmasken im Schaufenster eines Geschäfts in Venedig
Foto:
Christine Zenino
Die Lust am Verkleiden ist alt...
Schon vor über 900
Jahren wurde der Karneval in Venedig gefeiert. Die Masken boten damals
Anonymität - soziale Schranken waren somit aufgehoben. Adelige verkleiden
sich als Diener und Diener als Adelige, Männer und Frauen tauschten die
Gewänder. Für ein paar Tage im Februar wurde Sitte, Anstand und
Rollenzugehörigkeit dem närrischen Treiben geopfert. Venedig, das war ein
europäisches Zentrum der Vergnügungen, der Feste, der Liebe. Seit
Jahrhunderten galten die venezianischen Kurtisanen als die Königinnen ihrer
Profession.
Schon im 16. Jahrhundert erschienen gedruckte Kataloge vor allem natürlich
für die Besucher der Stadt, in denen die Adressen und die besonderen Reize
der raffiniertesten und teuersten der Lust-Damen aufgezählt wurden. Und zu
gleicher Zeit wundert sich Michel de Montaigne in seinem schönen
Reisetagebuch, "sie in solcher Zahl zu treffen, etwa hundertfünfzig, die an
Möbeln und Kleidern den Aufwand einer Prinzessin treiben". Allerdings blieb
er nur eine Woche in Venedig, und die eigene Anschauung mag durch die
Berichte begeisterter Freunde ergänzt worden sein.
Im Karneval, in der Freiheit der Maske, schien diese viel versprechende
Anlage der Venezianer zur Liebe, von allen Schranken und bedrückenden
Konventionen entlastet, endlich verwirklicht zu werden. Ungeahnte, unerhörte
Möglichkeiten schienen den reisenden Fremden zu erwarten.
Trotz aller Verbote - der Karneval war nicht
zu bremsen:
Wie in ganz Italien standen auch in Venedig antike Maskenfeste Pate bei der
Entstehung des Karnevals, allen voran die Saturnalien, die im ganzen
römischen Imperium als Fest der Jahreswende mit allen attraktiven
Möglichkeiten der Maskenorgie aufwarteten. Trotz heftiger Gegnerschaft der
Kirche feierten die Venezianer ihren Karneval seit dem Bestehen der Stadt.
Die Kostümierung hatte zu Beginn noch wenig vom Raffinement und von der
Vielfalt, die später die Bewunderung Europas erregen sollten. In Felle
gehüllt und mit Zweigen geschmückt zogen Gruppen junger Männer mit
Saiteninstrumenten durch die Stadt, besangen die Frauen, vor allem aber die
Aussichten auf gutes und reichliches Essen, das die Festzeit bringen würde:
"Trinkt, esst, guten Käse, gute Früchte, gutes Fleisch, gute Nudeln, gutes
Huhn, guten Kapaun, trinkt und esst, bis es nicht mehr geht!"
Denn der Karneval begann mit dem Tag des Heiligen Stephan, am 26. Dezember,
in jener Zeit also, in der die ersten Vorräte aufgezehrt waren und der Rest
dennoch lange reichen musste. In diese Lage der Vorsorge und wohl
berechneten Einteilung brach der Karneval als Gegenwelt des Überflusses, der
Verschwendung, der Unberechenbarkeit herein. Für einen Augenblick traten die
Menschen aus dem Reich der Notwendigkeit ein in das Reich der Freiheit.
Aber dann begann auch die Epoche der Verbote. Am 12.Februar 1339 verbot das Gremium des adeligen Patriziats das Tragen von Masken, da unter
ihrem Schutz Verbrechen und Betrug in die Stadt eingezogen seien.
Offensichtlich fand das Verbot keine Resonanz, denn ein Jahrhundert später
sieht sich der Rat der Zehn veranlasst, gegen Männer vorzugehen, die als
Frauen maskiert zur Karnevalszeit in Nonnenklöster eindrängen, um dort
"viele Schamlosigkeiten" zu begehen. Drei Jahre nach diesem Dekret, 1461,
erließ diese mächtige Behörde ein neues, das die Entscheidung von 1339
gegen jegliche Maskierung wieder aufnahm. Aber alle Verbote schienen totes
Papier geblieben zu sein, denn in immer kürzeren Abständen wurden sie
erneuert.
1502 verbot der Rat der Zehn "das Tragen künstlicher Haare und Bärte, der
Masken und überhaupt jede Form der Verkleidung". 1504 und 1606 folgte eine
wörtliche Wiederholung. Im Laufe des Jahrhunderts folgten weitere Verbote,
wie z.B. das Tragen von Waffen, was den Karneval aber nicht stoppen konnte,
im Gegenteil.
Im 18. Jahrhundert, zu Lebzeiten Casanovas, stand der Karneval in voller
Blüte. Damals dauerten die närrischen Tage fast ein halbes Jahr und
wurden sogar über die Staatsgeschäfte gestellt. Erst als Napoleon 1797 die
Stadt einnahm, verbot er den Karneval kurzerhand.
Die Herrschaft Napoleons war nicht nur Untergang der Republik, sondern auch
der beginnende Dornröschenschlaf des Karnevals. Die Wiedererweckung des Karnevals
aus seinem fast 200-jährigen Schlaf ließ ihn dann zu einem der wichtigsten
Feste in Italien werden ließ.
Text:
Markus Ruppert
Siehe auch:
Karneval in Venedig
Der Karneval in Venedig ist ein Fest für die Augen - und auch
für den Fotografen. [mit 25 Fotos]