"Goethe in der Campagna" Gemälde des Goethe-Freundes
Johann Heinrich Wilhelm Tischbein, 1786
Goethes Italienreise:
Die Reise Goethes nach Italien (September 1786 - Juni 1788) war eine Art
Flucht. Die langjährige Arbeit als Minister in Weimar hatte seine
literarische Kreativität blockiert und er fühlte die Notwendigkeit eines
radikalen Tapetenwechsels. Italien war schon seit der Kindheit sein Traum gewesen, und er hoffte, dass eine solche
stimulierende Umgebung zu seiner
künstlerischen Wiedergeburt führen würde.
Was Goethe in Italien suchte, war nicht so sehr das Italien von
Michelangelo
und Leonardo da Vinci, der Malerei und der Architektur der
Renaissance und des
Barock. Goethe suchte
das
klassische Italien der griechisch-römischen Kultur und als er in Verona zum
ersten Mal ein Monument der römischen Antike sah, die
Arena, war er glücklich. Und in Rom fühlte er sich sofort wie zu Hause, als ob
er nie woanders gelebt hätte.
Die Stadt, die Goethe nach Rom am meisten
beeindruckte, war Vicenza, mehr noch als
Venedig und
Florenz. Acht Tage hält
er sich in Vicenza auf, vom 19. September bis zum 25. September 1786. Was ihn hier besonders faszinierte, waren die
Bauwerke von Andrea Palladio (1508-1580), dem wichtigsten norditalienischen
Renaissance-Architekten, der die Ideen eines strengen klassizistischen
Ideals vertrat und die Baukunst des antiken Roms als Vorbild für sich
betrachtete. In seinen Tagebuchaufzeichnungen schreibt Goethe:
"Vor einigen Stunden bin ich hier [in Vicenza] angekommen, habe schon die
Stadt durchlaufen, das Olympische Theater und die Gebäude des Palladio
gesehen. Man hat ein sehr artiges Büchelchen mit Kupfern zur Bequemlichkeit
der Fremden herausgegeben mit einem kunstverständigen Texte. Wenn man nun
diese Werke gegenwärtig sieht, so erkennt man erst den großen Wert
derselben; denn sie sollen ja durch ihre wirkliche Größe und Körperlichkeit
das Auge füllen und durch die schöne Harmonie ihrer Dimensionen nicht nur in
abstrakten Aufrissen, sondern mit dem ganzen perspektivischen Vordringen und
Zurückweichen den Geist befriedigen; und so sag' ich vom Palladio: er ist
ein recht innerlich und von innen heraus großer Mensch gewesen."
Von allen Bauwerken von Palladio hat ihm besonders die
Villa Almerico Capri
(auch "La Rotonda" genannt) gefallen.
Die Villa Almerico Capra liegt auf einer Anhöhe am südlichen Stadtrand von Vicenza, von
hier aus hat man einen wunderbaren Rundblick über die Stadt Vicenza und die
umliegende Landschaft. Ihr Bau wurde von Almerico Capra, einem reichen
vicentinischen Kardinal in Auftrag gegeben, der der Intrigen und Machtspiele
der römischen Kurie überdrüssig geworden war und der hier in Ruhe seinen
Lebensabend verbringen wollte.
Palladio begann 1550 mit den Entwürfen, der Bau erfolgte allerdings erst um 1570. Nach dem
Tod von Palladio (1580) nahm Vincenzo Scamozzi, ein anderer berümter
vicentinischer Architekt, noch einige Änderungen vor, besonders die Kuppel
wurde flacher gestaltet.
Normalerweise
strebte Palladio immer die Harmonie von Form und Funktion eines Gebäudes an,
bei der Villa La Rotonda ging die Form allerdings eindeutig vor der
Funktion. Wichtiger als der praktische Nutzen des Hauses war für Palladio in
diesem Fall wahrscheinlich die Schaffung eines idealen Gebäudes, dessen
Ästhetik den römischen Vorbildern ähneln sollte.
Der Grundriss der Villa ist
quadratisch und alle vier Fassaden sind absolut identisch: ein klassischer
Portikus mit sechs ionischen Säulen und einem Dreiecksgiebel. Auch die vier
Treppenaufgänge sind identisch, das gesamte Gebäude ist perfekt symmetrisch
angelegt. Darüber eine flache Kuppel.
Goethe über die Villa "La Rotonda":
Goethe war von Palladio begeistert. In ihm sah er den Erneuerer der Antike,
der ihm das Altertum erschließen sollte. Über die Villa Rotonda schreibt er:
"Heute besuchte ich das eine halbe Stunde von der Stadt auf einer angenehmen
Höhe liegende Prachthaus, die Rotonda genannt. Es ist ein viereckiges
Gebäude, das einen runden, von oben erleuchteten Saal in sich schließt. Von
allen vier Seiten steigt man auf breiten Treppen hinan und gelangt jedesmal
in eine Vorhalle, die von sechs korinthischen Säulen gebildet wird.
Vielleicht hat die Baukunst ihren Luxus niemals höher getrieben. Der Raum,
den die Treppen und Vorhallen einnehmen, ist viel größer als der des Hauses
selbst; denn jede einzelne Seite würde als Ansicht eines Tempels
befriedigen. Inwendig kann man es wohnbar, aber nicht wohnlich nennen. Der
Saal ist von der schönsten Proportion, die Zimmer auch; aber zu den
Bedürfnissen eines Sommeraufenthalts einer vornehmen Familie würden sie kaum
hinreichen. Dafür sieht man es auch in der ganzen Gegend von allen Seiten
sich auf das herrlichste darstellen. Die Mannigfaltigkeit ist groß, in der
sich seine Hauptmasse zugleich mit den vorspringenden Säulen vor dem Auge
der Umherwandelnden bewegt, und die Absicht des Besitzers ist vollkommen
erreicht, der ein großes Fideikommißgut und zugleich ein sinnliches Denkmal
seines Vermögens hinterlassen wollte.
Und wie nun das Gebäude von allen
Punkten der Gegend in seiner Herrlichkeit gesehen wird, so ist die Aussicht
von daher gleichfalls die angenehmste. Man sieht den Bachiglione fließen,
Schiffe von Verona herab gegen die Brenta führend; dabei überschaut man die
weiten Besitzungen, welche Marchese Capra unzertrennt bei seiner Familie
erhalten wollte."