Er war 37 Jahre alt, ein berühmter Autor und gut bezahlter Minister.
Trotzdem reiste er bei Nacht und Nebel nach Italien. In zehn
Jahren am herzoglichen Hof von Weimar hatte Johann Wolfgang
von Goethe schnell Karriere gemacht. Doch er konnte kaum etwas
verändern, und die Amtsgeschäfte ließen ihm immer weniger Zeit
zum Schreiben. Auch die Beziehung zur verheirateten Charlotte von
Stein wurde immer quälender.
Seine Krise glaubte er nur durch eine
radikale Veränderung der Lebensumstände bewältigen zu können.
Also machte er sich im Herbst 1786 auf den beschwerlichen, rund
1.500 Kilometer langen Weg nach Rom und gab sich, um inkognito
bleiben zu können, im Personenstandsregister der nahen Pfarrei als
»Filippo Miller, Deutscher, 32 Jahre alt« aus. Die ersten beiden
Nächte verbrachte Goethe in einem bescheidenen Gasthaus. Dann
ließ er den deutschen Maler Johann Heinrich Wilhelm Tischbein,
der ihm noch einen Gefallen schuldete, zu sich rufen und zog noch
in derselben Stunde in dessen Künstler-Wohngemeinschaft in der
Via del Corso.
"Goethe in der Campagna" - Gemälde des Goethe-Freundes
Johann Heinrich Wilhelm Tischbein, 1786
Wie sehr der Dichter in insgesamt 15 Monaten das lockere, ungezwungene
Alltagsleben dort genoss, lässt ein Besuch in seinem
ehemaligen Zuhause erahnen. Dort muss der Besucher an einem
normalen Wohnhaus klingeln und in den ersten Stock zur »Casa di
Goethe« gehen. Mobiliar aus dem 18. Jahrhundert gibt es nicht
mehr. Doch eine Dauerausstellung mit vielen Originalzeichnungen
und Beschreibungen vermittelt ein eindrucksvolles und authentisches
Bild seines Aufenthaltes, dem Leben mit den Künstlerfreunden, dem
gemeinsamen Zeichnen, Diskutieren und Feiern. Die Zeichnung
»Das verfluchte zweite Kissen« verrät, dass der Dichterfürst offenbar
auch regelmäßigen Damenbesuch hatte. Vom Tischbein-Atelier aus
(mit einer Kopie des berühmten Gemäldes »Goethe in der Campagna
«, siehe oben) hat man einen tollen Blick auf den zu jeder Tageszeit belebten
Corso.
Der Text ist dem Buch
"111 Orte in Rom,
die man gesehen haben muss" entnommen
und wurden hier mit freundlicher Erlaubnis
des
Emons-Verlags veröffentlicht.